Implementierungsprobleme des Lean Management
Teilvortrag im Rahmen des Seminars: Kritische Darstellung des neuen Verständnisses
menschlicher Arbeit im Lean Management, Konsequenzen für die betriebliche Praxis und
Implementierungsprobleme
Inhalt
Einleitung
Generell-schematischer Ablaufplan der Implementierung von Lean Management
Grundsätzliche Methoden der Implementierung in Abhängigkeit der Ausgangssituation
Implementierungsdeterminanten
Sondereinflußfaktor Gruppenarbeit
Lean-Management-Implementierungsprozeß und seine Anforderungen an
die Mitarbeiter
Folgen einer fehlerbehafteten Implementierung
Quellenverzeichnis
Einleitung
Die nachfolgende schriftliche Ausarbeitung bezieht sich nur auf den dritten und
letzten Themenaspekt des Lean Management, nämlich der Implementierungsproblematik.
Hinsichtlich der Zielvorgabe eines Seminares habe ich einige Themenkomplexe des Lean
Management stark vereinfachen müssen, um angesichts der Komplexität der Themenstellung
einen Überblick über die Probleme bei der Einführung dieser "neuen" Managementphilosophie
geben zu können. Es ist unumstritten, daß die vielgestaltigen Probleme wesentlich umfassender
sind, als es eine derartige Ausarbeitung darstellen könnte. Ferner werden die grundsätzlichen
Prinzipien und Methoden des Lean Management als bekannt vorausgesetzt.
1.0 Generell-schematischer Ablaufplan der Implementierung von Lean Management
Bevor auf die einschlägige Implementierungsproblematik von Lean Management eingegangen
werden kann, muß man zunächst die verschiedenen Stufen einer idealtypischen Einführung
betrachten. In Anlehnung an die Kernprinzipien des klassischen Projektmanagements könnte
sich hierbei folgender Ablaufplan ergeben:
- 1.1 Stufe 1: Zieldefinition
Eingedenk der Tatsache, daß neben einer komplizierten Methodik und anspruchsvoller
Techniken besonders die Wertvorstellungen und Denkweisen über den Erfolg der Einführung
entscheiden, müssen in der ersten Phase nicht nur die strategischen und operativen Ziele,
sondern insbesondere auch die Leitmotive eindeutig definiert werden. Darüberhinaus müssen
Prioritäten gesetzt werden, je nachdem, in welcher Ausgangssituation sich die Unternehmung
befindet.
- 1.2 Stufe 2: Ausgangssituationsanalyse
An die erste Stufe knüpft unmittelbar die Diagnose der Ist- bzw. Ausgangssituation.
Dazu gehört zunächst eine Stärken- und Schwächenanalyse des Unternehmens, die schlüssige
Antworten auf noch brachliegende Chancen aber auch Risiken im bisherigen Markt geben
sollte. Ebenso müssen alle notwendigen externen Daten, wie beispielsweise Markttrends,
Kundenanforderungsprofile etc., gesammelt und ausgewertet werden, um eine Einschätzung
oder besser eine Prognose über die "Veränderungskultur" abgeben zu können.
- 1.3 Stufe 3: Lösungsansatz-Generierung
Nachdem alle Informationen gebündelt und interpretiert worden sind, muß nun ein
unternehmensspezifisches Chance-Management konzipiert werden, d.h. eine Art von
"Gesamtfahrplan" muß ausgearbeitet werden. Darunter subsumiert sich unter anderem eine
möglichst exakte Terminierung und ein Anschieben erster kleinerer Projekte
(Pilotprojekte). Einen ganz besonderen Schwerpunkt ist auf die Entwicklung von
Strategien zum Umgang mit Widerständen und Konflikten zu legen, die unausweichlich,
z.B. durch die Zuweisung von Rollen und Verantwortlichkeiten, erstehen werden.
- 1.4 Stufe 4: Implementierungs-Sicherstellung
Die in Stufe 3 generierten Konzepte müssen noch im Vorfeld der eigentlichen
Einführung so weit wie möglich "wasserdicht" gemacht werden, d.h. man versucht
beispielsweise den Problemdruck so bewußt wie möglich zu machen und durch
vertrauensbildende Maßnahmen und einem ausgeklügeltem Anreizsystem positive Perspektiven
aufzuzeigen. Unabdingbar ist spätestens jetzt die vollständige und wahrheitsgemäße
Information über Ursachen, Ziele und Maßnahmen des anstehenden Wandels bei allen
Beteiligten in der Unternehmung. Ohne Frage spielt hier auch das Visionary Leadership
eine wichtige Rolle, d.h. die Selbstverpflichtung und die bedingungslose Bekenntnis,
sowie die Initiative für Lean Management seitens des Top Managements.
- 1.5 Stufe 5: Implementierung
Die Implementierungsphase sollte von umfassenden Lern- und Trainingsprogrammen für
die Belegschaft und den MFK begleitet sein. Die ersten Kontakte mit dem neuen,
phasenorientierten Aufbau sollten zum Erfahrungsaustausch genutzt (Kommunikation!)
und in konkrete Konzepte umgewandelt werden.
- 1.6 Stufe 6: Evaluierung
Nach Abschluß der Implementierungsphase, die im übrigen nicht immer klar voneinander
abgegrenzt sein müssen, sollten Zwischenergebniskontrollen (Kennziffernsystem) zeigen
können, ob die angestrebten Meilensteine erreicht wurden. Die Leistungsdaten vom Markt
her können beispielsweise durch Benchmarking eruiert werden. Sinn der 6.Stufe ist die
Bewertung von Abweichungsanalysen, um Fehlerquellen zu eliminieren.
2.0 Grundsätzliche Methoden der Implementierung in Abhängigkeit der Ausgangssituation
Der unter 1.1 -1.6 schematisch gezeigte, sehr komplexe -und von vielen Subteilplänen
begleitete- Einführungsprozeß wird maßgeblich von der Ausgangssituation des Unternehmens
determiniert. Daraus leiten sich unterschiedliche Methoden der Einführung ab, die ich
nachfolgend mit BÖSENBERGS Vergleich zwischen dem natürlichen Organismus Mensch und dem
künstlichen "Organismus Unternehmen" darstellen möchte:
- 2.1 Ernährungsmangel = Unternehmenskrise
Unternehmen kommen "in die Jahre" und degenerieren zumeist -ähnlich wie der
menschliche Körper- schleichend. Eine Unterscheidung zwischen Muskel- und Fettsubstanz,
von Leistungsressourcen und Ballast ist, sowohl für Externe als auch für den Unternehmer
selbst, meist sehr schwer. Nur eine externe Krise des Marktes löst ein Bewußtseinsumbruch
aus, ein radikales Reeingineering mit fatalen personalpolitischen Konsequenzen ist die
Folge, wie das Beispiel des deutschen Maschinenbaus beweist. Fett und Muskeln werden
massiv und meist zu gleichen Teilen abgebaut, sodaß bei einer Markterholung Knappheitsprobleme
auftreten.
- 2.2 Schlankheitskur = befristete Sofortprogramme
Diese meist von außen aufgezwungenen Kuren haftet das "Makel des Opportunismus" an,
d.h. ein geeignetes Gegenkonzept fehlt ebenso wie der eigenständige Wille, was nach
kurzer Zeit zu Rekonvaleszenz führt; mit anderen Worten: kurze Zeit nach Beendigung der
Diät wiegt man mehr wie zu Beginn der Diät. Befristete Kostenkontroll-Programme enden
daher vielfach beim alten Gewicht plus zusätzlichen "Controller-Pfunden".
- 2.3 Ernährungsumstellung = Managementleitbildänderung
Erst eine langfristige Änderung der Ernährungsgewohnheiten mündet in dauerhafter
Schlankheit, auch in "guten Zeiten". Gefahr besteht allerdings -im Unternehmen, wie auch
im Organismus- das langfristig Ressourcen zur dauerhaften Anpassung-, Entwicklungs-
und Überlegenheitsfähigkeit aufgebraucht werden, auch wenn die Konstitution,
oberflächlich betrachtet, in Ordnung ist.
- 2.4 Hochleistungssport = Expansion, neue "Liga"
Idealtypisch für eine Einführung des Lean Managements ist deshalb das Bild des
durchtrainierten Athleten, der zugeführte Energie nicht in Fettpolster, sondern
direkt in verwertbare Leistung umsetzt. Konsequentes, ausdauerndes Training mit den
richtigen Zielen (Stärken und Schwächen) und einer effektiven Leistungskontrolle ist
deshalb unabdingbar.
3.0 Implementierungsdeterminanten
Zu dem komplexen Einführungsablauf, und den Umständen durch unterschiedlichen
Ausgangssituationen, addieren sich nun noch weitere interne und unternehmensexterne
Implementierungsdeterminanten:
- Management: überzeugt/erfahren vs. uneinig/unerfahren
- Belegschaft: zufrieden/vorhanden vs. unzufrieden/neu
- BR/Gewerkschaft: positiv eingestellt vs. negativ eingestellt
- Equipment: neu vs. vorhanden
- Organisation: Neuaufbau/Reorganisation vs. feste Struktur
- Unternehmenslage: erfolgreich vs. Krise
Darüberhinaus spielt die Leanerfahrung der Kunden und der Lieferanten als externe
Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle. In Verbindung mit den Möglichkeiten, sich
lean-erfahrene Unternehmenssparten einzugliedern oder mit entsprechenden Partnern zu
kooperieren, sowie den unterschiedlichen Möglichkeiten, die sich im Hinblick auf die
Methodik ergeben, erkennt man die fast unüberschaubare Komplexität.
4.0 Sondereinflußfaktor Gruppenarbeit
Als ein Sonderfall der Implementierungsdeterminaten sei im folgenden der Faktor
"Belegschaft" näher erläutert. Das man die Belegschaft nicht einfach nur in
"zufrieden/unzufrieden" oder "neu/vorhanden" unterteilen kann, zeigt schon allein der
Grundbaustein der Gruppenarbeit. Die Vielzahl der miteinander
kommunikationspflichtig-verknüpfter Gruppen steigt zu den bisher ethablierten
Strukturen rapide an und stellt den Mitarbeiter vor neuartige Anforderungsprofile.
In Anlehnung an die Ausführungen von REISS entstehen dadurch eine Reihe von
Problemen bei den Mitarbeitern:
- negative Größeneffekte (zunehmende Anonymität in den Gruppen)
- Verzögerung (Unzufriedenheit durch zunehmenden Koordinationsbedarf)
- Erfolgsminderung (Demotivation durch Kompromißzwang)
- Kreativitätsminderung (Verlust durch geforderten Konformismus)
- Niveauherabsetzung (Ausrichtung an den Leistungsschwächsten)
Darüberhinaus stellt sich bei derartigen Anforderungen an die Leistungsmenge, den
Leistungserfolg und die Leistungsnorm natürlich die Frage, inwiefern die Autarkie einer
Gruppe noch gewährleistet ist, da bei deren Verlust, in Verbindung mit der geforderten
Rollenflexibilität, noch zusätzliche Problemfelder auftauchen können.
5.0 Lean-Management-Implementierungsprozeß und seine Anforderungen an
die Mitarbeiter
Betrachtet man neben der Gruppenarbeit die einzelnen Entwicklungsstufen des
Implementierungsprozeßes gesamthaft aus dem Blickwinkel der Bedeutung für die
Mitarbeiter, so verdichten sich die Voraussetzungen -zumindest für das westliche
Verständnis- zu einem fast unmenschlich überhöhten Anforderungsprofil. Die durch den
Aufbau, die Sicherung und Weiterentwicklung des Systems Lean Management entstehenden
Anforderungen, Qualifizierungsnotwendigkeiten und Kompetenzentwicklungen können
unmöglich von jedem einzelnen Mitarbeiter erfüllt werden. Im Bereich der
Eigenverantwortung kommt es also zwangsläufig zu gravierenden Einschnitten, die sich
in totaler Überforderungen, Mutlosigkeit gegenüber neuen Entwicklungen oder gar
Entlassung zeigen werden. Die eingangs angesprochenen Instrumente zur Einführung sind
deshalb im Sinne einer optimalen Kombination schrittweise und nachvollziehbar
einzuführen. An dieser Stelle sei nochmals auf die absolute Notwendigkeit eines
holistischen Informationsmanagements hingewiesen; seine Bedeutung kann m.A.n. nicht
hoch genug eingeschätzt werden.
Die Neuausrichtung des Personalmanagements führt im einzelnen zu folgenden
Anforderungscharakteristika an den Mitarbeiter -der im Sinne des Lean Managements
im Mittelpunkt der Betrachtung stehen sollte- da er nicht nur das größte Potential,
sondern auch das größte Risiko in diesem System darstellt.
- neue Anforderungensdimensionen:
Denkweisenänderung
Umgestaltung des Arbeitsplatzes
neuartige Prozeßzwänge
Akzeptanzschwelle
- Qualifikation:
Teamfähigkeit
Eigeninitiative
flexibler Arbeitsstil
Fachkönnen und -wissen
Kommunikationsfähigeit
- Kompetenzentwicklung:
fachliche Kompetenz
methodische Kompetenz
kooperative Mitwirkungskompetenz
prozeßorientierte Kompetenz
Lernkompetenz
6.0 Folgen einer fehlerbehafteten Implementierung
Die -fast unabsehbaren- Folgen einer mangelhaften Implementierung kann nachfolgende
Graphik veranschaulichen. Es kann abschließend gesagt werden, daß der Erfolg einer
Einführung maßgeblich von den oben ausführlich dargestellten Faktoren abhängt.
Insbesondere ist auf eine exakte, systematische Planung und auf eine ehrliche und
umfassende Kommunikation -die alle Beteiligten idealerweise schon in der Anfangsphase
miteinbezieht- Wert zu legen.
Quellen (ohne Textverweis):
Michael Reiss, "Implementierung integrierter Gruppenkonzepte - ein kritischer
Erfolgsfaktor von Lean Management" in: Hans Carsten/Thomas Will, "Lean Production -
Schlanke Produktionsstrukturen als Erfolgsfaktor", Stuttgart/Berlin/Köln, 1993
Uwe Groth/Andreas Kammel, "Lean Management", Teil IV "Neuausrichtung des
Personalmanagements als Implementierungsvoraussetzung für das Lean Management", Teil
VI "Die Implementierung von Lean Management", Wiesbaden, 1994
Dirk Bösenberg, "Lean Management - Vorsprung durch schlanke Konzepte", Landsberg
am Lech, 1993
Ingeborg Kauper/Detlef Hartmann, "Lean Management - Ideen für eine zukunftsorientierte
Unternehmensgestaltung", Bonn, 1994
Herbert Strunz, "Lean Management" in: Das Wirtschaftsstudium Heft 8-9 Seite 672-674,
Jahrgang 22, 1993
Michael Reiss, "Menschliche Probleme im Lean Management" in: Zeitschrift für
Personalführung Heft 2 Seite 171-194, Jahrgang 7, 1993
Joachim Deppe, "Personalentwicklung im Lean Management" in: Gablers Magazin Heft
Nr.8 Seite 43-47, 1993
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