Erkenntisse der östlichen Philosophie in der modernen Betriebspsychologie


Vortrag im Rahmen eines betriebsspychologischen Seminars
Notwendigkeit der östlichen Philosophien für die moderne Betriebspsychologie
Die unterschiedlichen Denkweisen des Ostens gegenüber des Westens am Beispiel der Literatur
Die Polarität des westlichen Denkens als Ursache einer falschen Denkweise
Die Auswirkungen der polaren Philosophie auf den westlichen Menschen in der Betriebspsychologie
Die ganzheitliche Denkweise des Zen-Buddhismus als Lösungsansatz


1. Notwendigkeit der östlichen Philosophien für die moderne Betriebspsychologie

Im Vorfeld dieses Vortrages möchte ich versuchen, die Notwendigkeit der Einbeziehung östlicher Philosophien in die moderne Betriebspsychologie herauszuarbeiten. Wir werden dabei feststellen, daß die Probleme, die uns im betrieblichen Umgang mit Menschen begegnen, zum großen Teil auch Probleme unserer Gesellschaft und ihres Wertesystems sind. Anhand verschiedener Beispiele werde ich versuchen darzulegen, inwieweit sich unsere Denkweise von der östlichen Philosophie unterscheidet und warum ich der festen Überzeugung bin, daß die östliche Hemisphäre im allgemeinen und der Zen-Buddhismus im speziellen, ein Lösungskonzept für alle psychischen Dissonanzen sein kann. Abschließend möchte ich dieses Gedankenmodell des ganzheitlichen Ansatzes in der Psychologie kurz vorstellen.

2. Die unterschiedlichen Denkweisen des Ostens gegenüber des Westens am Beispiel der Literatur

Wie ich bereits zu Beginn dargelegt habe, erscheint es mir sehr wichtig, die Unterschiede zwischen der westlichen und östlichen Denkweise zu verstehen, damit wir einen Einblick in die Struktur unserer eigenen Denke bekommen. Um das Problemfeld zu erschließen habe ich ein Beispiel aus der Literatur gewählt. Zwei Dichter, die sich mit ein und derselben Erscheinung in der Natur beschäftigen, jedoch aus unterschiedlichen Kulturen stammen. Als Vertreter des Westens habe ich Tennyson gewählt, den ich mit seinem Gedicht kurz zitieren möchte:

"Blume in der geborstenen Mauer,
Ich pflücke Dich aus den Mauerritzen,
Mitsamt den Wurzeln halte ich dich in der Hand,
Kleine Blume - doch wenn ich verstehen könnte,
Was du mitsamt den Wurzeln und alles in allem bist,
Wüßte ich, was Gott und Mensch ist"

Tennyson, daß ist leicht zu erkennen, ist aktiv und analytisch. Die Pflanze muß sterben, damit er objektiv und logisch ihr Wesen ergründen kann. Ihr Schicksal ist ihm gleichgültig, seine Neugierde muß befriedigt und begrifflich eingeordnet werden. Die Wahrheit, und das ist auch gleichzeitig das Credo (Glaubensbekenntnis) unserer modernen Industriegesellschaft ist nur durch wissenschaftliche Erkenntnis erklärbar und erreichbar. Basho, ein japanischer Dichter des siebzehnten Jahrhunderts, beschäftigt sich ebenfalls mit einer Blume, einer sogenannten Nazura. Auch sein siebzehn Silben langes Gedicht zitiere ich:

"Wenn ich aufmerksam schaue,
sehe ich die Nazura,
An der Hecke blühen!"

Allein der kurze Aufbau ist für uns westliche Menschen wenig spektakulär und -oberflächlich betrachtet- ohne nennenswerte Erkenntnis. Trotzdem sagt uns dieser Dreizeiler sehr viel: Basho pflückt die Blume nicht, er erfährt ihre Schönheit, ohne sie zu töten, er berührt sie noch nicht einmal, er ist also vollkommen passiv und bemüht sich nicht gerade um Objektivität. Während Tennyson sich von der Blume als Objekt distanziert, geht Basho eher dogmatisch-integrierend vor, er trennt nicht zwischen "Gott und Mensch" oder Objekt und Mensch. Tennyson's westliche Denkweise ist also in erster Linie polar, während Basho's Betrachtungsweise eher ganzheitlich ist, er empfindet die Blume und sich als Bestandteil der Natur.

Dieses Beispiel zeigt meiner Ansicht nach sehr deutlich den völlig konträren Ansatzpunkt der Denkweisen. Übertragen auf unsere Problematik begründete auf der einen Seite Sigmund Freud als Vertreter der rationalen Wissenschaftlichkeit die klassische humanistische Psychoanalyse . Auf der anderen Seite, im Osten, entwickelte sich dagegen über Jahrhunderte hinweg aus den Strömungen des Taoismus und des Buddhismus der Zen-Buddhismus, der in seiner Ganzheitlichkeit die "Überwindung des Ichs" anstrebt, eine stark integrierende Denkweise, die sich in ihrem Aufbau und ihrer Denkweise nicht durch normative Vorgaben einschränkt.

3. Die Polarität des westlichen Denkens als Ursache einer falschen Denkweise

Wie sich anhand von empirischen Untersuchungen in der Betriebspsychologie belegen läßt, führt diese einteilende Denkweise des Westens offensichtlich zu Problemen. Dieser eher vage erscheinende Zusammenhang zwischen Problemursprung und Denkweise lassen sich aber durch die Erkenntnisse der Gehirnforschung mühelos untermauern.

Unser Gehirn teilt sich in zwei Hälften, die durch eine Nervenbrücke, dem sogenannten "corpus callosum", verbunden ist. Anfang der dreißiger Jahre zeigten zum Teil sehr drastische Experimente erstaunliche Ergebnisse: Patienten, denen man diese Brücke mittels chirurgischem Eingriff durchtrennte, waren nicht, wie anfangs vermutet, völlig lebensunfähig. Man erkannte, daß diese beiden Hälten fast autark voneinander arbeiten können: Gab man jedoch der Versuchsperson einen Korkenzieher in die linke Hand, so konnte sie damit zwar eine Flasche öffnen, den Gegenstand benennen konnte diese Person aber nicht.

Das heißt, daß unsere westliche Denkweise größtenteils auf die linke Gehirnhälfte zugeschnitten ist, denn hier sind die Funktionssynapsen für Logik, Intelligenz und andere analytische Fähigkeiten verankert. Man brauchte sehr lange, bis man die Funktionen der rechten Gehirnhälfte, z.B. die Intuition, herausfand - was angesichts unserer Denkschematas ja auch nicht verwundert.

Wenn man die Lehren des Taoismus auf die Gehirnforschung überträgt, ergeben sich nun sehr interessante Aspekte. Das Ganzheitszeichen, auch "Tai-Chi" genannt, entspricht, wenn man es um 90 Grad gegen den Uhrzeigersinn dreht (so wie es in ursprünglichen Abbildungen wiedergegeben ist), fast unserem "Gehirn-Modell" im Querschnitt. Die Yang-Seite als Entsprechung der linken Gehirnhälfte, die Yin-Seite als Entsprechung für die rechte Gehirnhälfte. Und jetzt entdecken wir etwas sehr erstaunliches: Das Tai-Chi soll uns die Problematik der Polarität in unserem Denken veranschaulichen und fordert uns auf, alle Aspekte unseres Seins zu akzeptieren und zu natürlich auch zu leben! Die Yang-Seite wird auch die männliche Seite genannt und wer wollte behaupten, daß wir nicht in einer männerdominaten Gesellschaft leben? Die Yin-Seite steht für das Unbewußte: Wer will leugnen, daß fast alle psychischen Probleme ungelöste Konflikte im Bereich des Unterbewußtseins sind? Die Überbetonung der Yang-Seite, die Mißachtung des Gleichgewichtes zwischen den einzelnen Polen ist die Ursache für viele gesellschaftlichen, sozialen und somit auch betriebspsychologischen Konflikten, denn nicht die Wirklichkeit, sondern nur unsere Denke, unser Bewußtsein ist polar, d.h. nur unser Kopf trennt zwischen Gut und Böse.

4. Die Auswirkungen der polaren Philosophie auf den westlichen Menschen in der Betriebspsychologie

Eine ganze Reihe von Anforderungen prägen unser Dasein in der konkurrenzorientierten, westlichen Gesellschaft. Nicht nur, daß es immer schwieriger wird, technische und/oder soziale Vorgänge zu verstehen (Komplexität), gleichzeitig werden wir durch eine unüberschaubare Vielzahl von Gesetzen, Ver- und Geboten sowie ungeschriebener gesellschaftlicher Normen reglementiert. Hinzu kommt, daß wir durch unser polares "Schwarz-Weiß-Denkschema" die real existierende Ambivalenz völlig außer acht lassen. Menschen sind eben nicht nur einfach "gut" oder böse", wie uns tagtäglich die Medien demonstrieren wollen, alles hat seine positiven und negativen Seiten: Vorgänge, Ereignisse, Menschen und Systeme aller Art sind ambivalent! Unsere Denkweise, die gerne alles bei seinem Namen nennt und sortiert, also kategorisiert, steht also im offensichtlichen Widerspruch zu Realität, die uns in ihrer Vielschichtigkeit und Unterschiedlichkeit begegnet, und uns unsere Suche nach Harmonie und Selbstverwirklichung so schwer macht.

Es muß also zwangsläufig zu dem bereits oben erwähnten Konflikt kommen, der sich in verschiedenen Phänomenen äußern kann. Auf die Konfliktfelder und ihre Lösung, wie Angst, Einsamkeit, Streß oder Sinnentleerung des Lebens (midlife crises, mobbing etc.) soll hier nicht näher eingegangen werden. Für uns ist jetzt primär wichtig, zu verstehen, daß uns unsere einseitige Denkweise krank macht, und das sowohl physiologisch als auch psychologisch.

Die kognitive Dissonanz beispielsweise, die sich aus der unterschiedlichen Gewichtung unseres Seins ergibt, führt zu einer Schwächung unseres Immunsystems, denn, einem Kistenclown ähnlich, müssen wir ständig Energie aufwenden, um unser Unterbewußtsein in der "Schachtel" zu behalten, sprich unbewußt bleiben zu lassen. Auf der psychologischen Ebene kommt es deshalb auch sehr oft zur Verdrängung, die sich wiederum in verschiedenen anderen Phänomen äußern kann, wie beispielsweise Narzißmus (Eigenliebe) oder übertriebenen Egoismus, Probleme der täglichen Betriebspraxis also.

5. Die ganzheitliche Denkweise des Zen-Buddhismus als Lösungsansatz

Die östliche Philosophie kann uns einen Weg aus dieser einseitigen Überbetonung weisen. Selbstverständlich bietet auch die Psychoanalyse Ansätze dafür an: Das sieht man beispielsweise in den späten Werken Sigmund Freuds, in der er als "Königsweg" die Transformierung des Unbewußten ins Bewußtsein bezeichnet, dessen Essenz in dem Leitspruch "Es zum Ich" zum Tragen kommt. Eine pragmatische Hilfestellung -außer der betriebsspychologisch wenig praktikablen Analyse- bietet uns Freud oder Jung aber nicht.

"Satori" (die Erleuchtung), das Ziel des Zen-Buddhismus hat zum Ziel, Einsicht in alle gespeicherten und natürlichen Energien zu gewinnen und sie freizusetzen. Der Weg dorthin wird hier sogar eindeutig beschrieben:

Man sollte tagtäglich den Versuch des bewußten Erlebens und nicht der verstandesmäßigen Erfassung machen. Als Instrumente zur Überwindung der Gier, Selbstverherrlichung und des Materialismus, bewährter Verdrängungsprinzipien also, sollen uns Demut, Liebe, Unabhängigkeit und Selbsthilfe dienen.

Demut, in dem Sinne, daß wir einen Tag als Chance begreifen, Fehler machen zu dürfen, und aus ihnen zu lernen und ihn deshalb dankbar entgegennehmen, also den Tag mit seinen Abläufen und menschlichen Kontakten als Geschenk und nicht als Last zu begreifen.

Liebe, als Bekenntnis und Einsicht, daß mir eine ehrliche Beziehung helfen kann, die Polarität nicht nur körperlich im Geschlechtsakt, sondern auch geistig in meinem Bewußtsein, zu überwinden.

Unabhängigkeit von Paradigmen und Religionen, d.h. keine Ungläubigkeit, sondern das gesunde Ego und mein Ich als einzige Distanz gegen Moralvorstellungen oder gesellschaftliche Normen.

Das Prinzip der Selbsthilfe, d.h. mein innerer Wille etwas zu ändern, das Leben als einen dynamischen Prozeß zu begreifen, den ich durch Lernen mitgestalten kann.

Schließlich das Primat der Empfindungen gegenüber dem analytischen Denken. Um den letzten und wichtigsten Punkt zu verdeutlichen ein kleines Beispiel: Jeder von uns weiß, daß sich ein Kind unheimlich in ein Spiel vertiefen kann, und sei es noch so trivial, wie beispielsweise einen Ball hin- und herzurollen. Warum langweilt sich das gesunde Kind nicht nach einiger Zeit, wie der Erwachsene? Das Kind kann noch nicht "ich" sagen, es trennt nicht zwischen dem Spielobjekt und sich; deshalb sagt man ja auch "das Kind ist im Spiel vertieft", es ist in diesem Erlebnis, es verschmilzt mit ihm in eine Einheit und kann es deshalb endlos mit gleicher Freude wiederholen.
Der Erwachsene glaubt ebenfalls, daß er den Ball rollen sieht. In Wirklichkeit denkt er jedoch das Ereignis. Das Ereignis "der Ball rollt" bestätigt beim Erwachsenen in Wirklichkeit nur (a) sein Wissen, daß das runde Ding Ball genannt wird und (b) sein Wissen, daß runde Gegenstände über glatte Ebenen rollen. Seine Augen und sein Verstand arbeiten nur, um sein Wissen und seine (vermeintlich) richtige Denkweise zu beweisen! Nachdem der Beweisvorgang abgeschlossen ist, hat der Vorgang seinen Reiz verloren.

Interessanterweise gibt uns auch die Bibel einen Hinweis auf diese Art von Lebens- und Denkweise, die das subjektive Erleben dem -um Logik bemühtem- Rationaldenken voranstellt: Im NT, Lukas Abschnitt 18,17, steht:

"Wer nicht das Reich Gottes annimmt wie mit den Augen eines Kindes,
der wird nicht hineinkommen."

Ein Kehrschluß auf unser Beispiel bietet sich also geradezu an.

Der ganzheitliches Lösungsansatz unter sehr starker Einbeziehung östlicher Weisheiten kann also unser Bewußtsein in richtiger Richtung schulen. Wenn wir bereits sind, unser Bewußtsein für ein völlig neues Denkschema zu öffnen, dann werden wir viele unserer (betrieblichen und privaten) Probleme lösen können, weil wir eine Antwort auf die drei Fragen unseres Lebens geben können:

"Nicht haben, sondern sein"

lautet deshalb die zentrale Botschaft der östlichen Philosophie.


Quellen (ohne Textverweis):

Dethlefsen, Thorwald/Dahlke, Rüdiger, "Krankheit als Weg",
Bertelsmann Verlag, München 1983

Dethlefsen, Thorwald, "Schicksal als Chance",
Goldmann-Verlag, München 1979

Fromm, Erich/Suzuki, Teitaro "Zen-Buddhismus und Psychoanalyse",
Suhrkamp-Verlag, Frankfurt 1960

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