Bedingungen einer konzeptionellen Erweiterung


1. Definitorische Abgrenzungen und Stellung der konzeptionellen Erweiterung

1.1 Öko-Marketing und Sozio-Marketing

Bevor auf die Ansatzpunkte und den Entwurf einer konzeptionellen Erweiterung näher eingegangen werden soll, erscheint es angebracht, die häufig verwendeten Termini zu definieren und abzugrenzen.

Zunächst soll der Vollständigkeit halber der Begriff Marketing definiert werden. NIESCHLAG/ DICHTL/ HÖRSCHGEN definieren Marketing als "Grundhaltung, die durch konsequente Ausrichtung aller ... den Markt berührenden Entscheidungen an dessen Erfordernissen (Marketing als Maxime) gekennzeichnet ist". Dieses Ziel soll durch "... Schaffung von Präferenzen mittels gezielter Maßnahmen (Marketing als Mittel) sowie durch eine systematische, moderne Analysentechniken nutzende Entscheidungsfindung (Marketing als Methode) erreicht werden". Das Grundkonzept besteht also -stark vereinfacht ausgedrückt- in der Leitidee einer Führung des Unternehmens vom Markt her (d.h. mit einer starken Kundenorientierung) und einem bewußten Gestaltungsbemühen seitens des Unternehmens.

Im Gegensatz zu dem tendenziell unumstrittenen Marketingbegriff mit seinen spezifischen Funktionsinhalten, fällt eine begriffliche Präzisierung des viele Facetten umfassenden Begriffs Öko-Marketing (auch ökologisches Marketing) vergleichsweise schwer. Spricht SCHREIBER bei Öko-Marketing beispielsweise von einer "Jahrhundertaufgabe", zu deren Lösung sich die Entscheidungsträger im Marketing nicht an der Bedürfnisweckung sondern an der Begrenztheit der Rohstoffe orientieren sollten, so fordert RUPPEN von einem umweltgerechten Marketing, daß es alle seine Aktivitäten auf Umweltkonformität prüfen müsse. Bei WIMMER/ SCHUSTER bedeutet ökologisches Marketing, "... daß die den Markt berührenden Maßnahmen von Unternehmen mit einem möglichst geringen Maß an Belastungen ... für die Umwelt verbunden sind." In jüngerer Zeit wird das Öko-Marketing auch zunehmend mit systemorientierten, holistischen Denkansätzen verknüpft oder in wettbewerbsspezifische Betrachtungen eingebettet. So kommt nach MEFFERT dem ökologieorientierten Marketing die Aufgabe zu, "... bei der Planung, Koordination und Kontrolle aller absatzmarktgerichteten Aktivitäten eine Vermeidung und Verringerung von Umweltbelastungen zu bewirken, um über eine dauerhafte Befriedigung der Bedürfnisse aktueller und potentieller Kunden, unter Ausnutzung von Wettbewerbsvorteilen und bei Sicherung der gesellschaftlichen Legitimität die angestrebten Unternehmensziele zu erreichen."

Den meisten Definitionsansätzen ist demnach zu eigen, daß sie die zunehmende Komplexität der Marketingentscheidungen durch die Miteinbeziehung des Umweltaspektes erfassen wollen und das Marketing in einer mehr oder minder stark ausgeprägten sozialen Verantwortung sehen. Dabei steht auch oft der Gedanke der Integration aller Umwelt- und Umfeldaspekte im Sinne eines integrativen Managementsystems im Vordergrund, indem das Öko-Marketing die Schlüsselrolle einnimmt. Umfaßt das Rahmenkonzept auch nichtkommerzielle Institutionen, spricht man hingegen vom Marketing für Ökologie.

In Anlehnung an HOPFENBECK und andere Autoren kann für das Gedankengebäude des Öko-Marketing zusammenfassend folgende Charakteristika festgehalten werden: Öko-Marketing

· orientiert sich an der Begrenztheit der Rohstoffe und nicht an der auf eine Konsumsteigerung ausgerichteten, künstlichen Bedürfnisweckung.

· hat neben ökonomischen Zielgrößen auch die Stabilisierung des Öko-Systems zum Ziel und berücksichtigt die sozialen Dimensionen bei der Entwicklung und Durchführung von Marketingkonzeptionen.

· forciert die ökologisch orientierte Produktentwicklung und -modifikation, reduziert den Verpackungsaufwand und entwickelt Recyclingsysteme.

· sucht Alternativen, die den Raubbau an der Natur verhindern und die Folge-schäden (der vom kommerziellen Marketing mitverursachten) Konsumgesellschaft minimieren.

Eine Brücke zum sog. "Sozio-Marketing" schlägt die Definition von RAFFÉE: Er beschreibt Öko-Marketing als eine auf umweltrelevanten Sachinformationen (Informationsmarketing) basierende Technik, um die Gewohnheiten und Grundeinstellungen der Konsumenten zu verändern, die zu der heutigen Umweltmisere beitragen. Ferner betrachtet er das Öko-Marketing als eine wichtige Variante des Social Marketing (zu deutsch auch Sozio-Marketing).

Allgemein versteht man unter Sozio-Marketing "... bestimmte Ideen ("issues"), für Anliegen, die zum Nutzen der Gesellschaft verfolgt werden (sollten)" bzw. Ziele, "... die in die gegenwärtige Arena gesellschaftlicher Diskussionen treten sollen." Sozio-Marketing focussiert also nicht das Produkt, sondern vermarktet vielmehr Ideen und Verhaltensweisen mit dem Ziel der systematischen Verhaltensänderung des Individuums. Dabei kommen sog. Sozialtechniken zum Einsatz, die neben den besagten Verhaltensänderung u.a. auch die kognitive Wissensbasis und die Wertedispositionen der Empfänger beeinflussen sollen. Unter Sozialtechniken versteht man wiederum die systematische Anwendung von verhaltenswissenschaftlichen Techniken und Gesetzmäßigkeiten zur Gestaltung der sozialen Umwelt, insbesondere zur Beeinflussung des Menschen. So beschreiben beispielsweise KOTLER und EDUARDO den erfolgreichen Einsatz von Sozialtechniken als Werkzeuge des Sozio-Marketings bei der Familienplanung in Entwicklungsländern. Hierbei wird unmittelbar deutlich, daß sich Sozio-Marketing in erster Linie an nicht-kommerzielle Institutionen (Non-Profit-Organisationen wie Kirche, Staat, Verbände etc.) wendet, obwohl sich die Prinzipien auch auf Unternehmen übertragen lassen.

Betrachtet man Sozio-Marketing hingegen im kommerziellen Bereich, unterscheidet man zwischen Sozio-Marketing im weiteren und im engeren Sinn. Während der Ansatz im weiteren Sinn ein zufälliges Zusammentreffen von Sozial- und Gewinnzielen einschließt, nimmt das Sozio-Marketing im engeren Sinne auch eventuell eintretende Gewinneinbußen in Kauf, um ein projektiertes Sozialziel zu erreichen. Insofern umfaßt der erweiterte Begriff des Sozio-Marketing auch den Ansatz des Human Concept of Marketing und des Konsumerismus.

Bei den Begriffsabgrenzungen soll nicht vernachlässigt werden, das die Wort-schöpfungen "Öko-Marketing" und "Sozio-Marketing" durch ihre inflationäre und oft auch mißbräuchliche Verwendung in der Praxis nicht selten als bloße Zugeständnisse an das gewachsene Umweltbewußtsein gedeutet werden. So spricht DAMM, Vorstandsvorsitzender der AEG Hausgeräte AG und Ökomanager des Jahres 1993, vom Öko-Marketing als einer "Verkaufsmasche", derer sich viele bemächtigt hätten, um sich lediglich ein ökologisches Image zuzulegen. Und auch BRUHN und TILMES stellen den offensichtlichen Vorteilen eines humanistisch orientierten Sozio-Marketings die Gefahr von "pseudo-normativen" Aussagen und realitätsfernen Absichtserklärungen gegenüber.

1.2 Marketing-Konzeption und ökologische Marketing-Konzeption

In Anlehnung an BECKER versteht man unter einer Marketingkonzeption einen umfassenden, gedanklichen Entwurf, der sich an einer Leitidee orientiert und einen grundlegenden Handlungsrahmen festlegt, sowie die daraus notwendigen operativen Handlungen zu einem "schlüssigen Plan" zusammenfaßt. Dabei geht man davon aus, daß Märkte dynamische Gebilde sind, die durch gezielte Handlungsweisen des Unternehmens gestaltbar bzw. beeinflußbar sind. Aus dieser Definition können unmittelbar die vier bzw. drei Konzeptionsebenen abgeleitet werden.

An die systematische Analyse aller relevanten Umfeldfaktoren (=erste Ebene) schließen sich die folgenden Ebenen an:

· Konzeptionsebene Marketingziele (Leitidee, Richtgröße)

· Konzeptionsebene Marketingstrategie (Handlungsrahmen)

· Konzeptionsebene Marketingmix (operativer Instrumenteneinsatz)

Diese Ebenen sind interdependierende Teilstufen eines phasischen Prozesses und sind stets als feste (=zwingend notwendige) Bestandteile einer umfassenden Konzeption aufzufassen, wobei der Prozeßbeginn idealerweise an die Zielebene anknüpfen sollte. Marketing-Konzeptionen können ferner als Handlungsanweisungen aufgefaßt werden, die nicht nur die innerhalb der Ebenen Entscheidungen festlegen, sondern ggf. auch das Unterlassen bestimmter Aktivitäten miteinschließen. Dabei stellt die Marketingstrategie im Hinblick auf die Dauerhaftigkeit und zeitablaufoptimale Gestaltung den Dreh- und Angelpunkt jeder Konzeption dar.

Die ökologische Marketing-Konzeption erweitert diesen phasischen Gestaltungs-prozeß um umweltrelevante Determinanten. So wird beispielsweise das Zielsystem der Unternehmung um außerökonomische Wirkungen der wirtschaftlichen Tätigkeit erweitert, oder auf der Strategieebene werden gezielt Potentiale im Umweltschutzbereich aufgebaut, wobei in der Regel offensive Strategien, d.h. Planungsüberlegungen über den gesetzlich geforderten Standards hinaus, präferiert werden.

Im Mittelpunkt bisheriger, konventioneller Öko-Konzeptionen steht normalerweise die Positionierungsentscheidung, d.h. in welchem Ausmaß der Umweltschutz und die Umweltverträglichkeit der Produkte als Profilierungs- und Differenzierungs-merkmal gegenüber dem Konsumenten herausgestellt werden soll. Dies bedeutet, daß umweltorientierte Konzeptionen ökologische Innovationen -komparabel zu der gewählten marketing-politischen Basisstrategie- wie normale Produktneuerungen vermarkten, um am steigenden Umweltbewußtsein zu partizipieren, d.h. die Mehrzahl der heute existierenden Öko-Konzeptionen beinhalten eine anpassungsgeleitete Strategie.

1.3 Einordnung der konzeptionellen Erweiterung

 

Die nachfolgende Skizzierung einer konzeptionellen Erweiterung knüpft an die Forderung des letztjährigen Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften SELTEN an, die Impulse der Psychologie und der Verhaltensforschung im Marketing zu nutzen, um den Konsumenten besser zu "modellieren".

Hierzu dienen die Ausführungen des ersten Hauptabschnittes, auf denen der nun folgende Abriß basiert. Hierbei wurde bewußt der Begriff der Erweiterung gewählt, da einerseits die Fülle der ökologisch orientierten Marketingliteratur nicht um eine weitere Arbeit ergänzt werden sollte und andererseits, da sich dieser Entwurf komplementär zu den existierenden und in der Praxis bewährten Strategieansätzen verhält. Damit ist gemeint, daß es gleichgültig ist, ob ein Unternehmen beispielsweise im Rahmen der Marktfeldstrategien die Option der "natürlichen" Marktdurchdringung oder die (diametrale) Option der Diversifikation als strategische Hauptstoßrichtung gewählt hat - der vorzustellende Erweiterungsansatz, der den Konsumenten und seine individuellen, ökologischen Verhaltensbarrieren in das Zentrum der Betrachtung stellt, ist nach Meinung des Autors, grundsätzlich in allen Strategieausprägungen und -kombinationen (Strategiechips) denkbar bzw. realisierbar. Der Ansatz soll die vorherrschenden Marketingstrategien also keinesfalls in ihrer Gültigkeit anzweifeln, sondern das Kontinuum interdisziplinärer Forschungsansätze, die durch die Ökologisierung der Gesellschaft und der Unternehmen zunehmend Eingang in die Marketingwissenschaft gefunden haben, um eine verhaltenswissenschaftliche Komponente ergänzen.

Im Hinblick auf die oben eingeführten Definitionen erscheint eine Abgrenzung und Einordnung der Konzepterweiterung notwendig, um zu verdeutlichen, in welcher Beziehung diese mit den Konzepten des Öko-Marketings bzw. des Sozio-Marketings steht.

Zunächst überrascht es nicht, daß sich in diesem Bereich viele Überschneidungen ergeben. Dies liegt in erster Linie daran, daß sich viele Unternehmen im Laufe ihrer Entwicklung immer stärker gesellschaftsorientierten Zielprioritäten zuwenden. Dabei adaptierten die Unternehmen, ähnlich der "natürlichen", marktareal-spezifischen Erweiterung vom "Schornsteingebiet" ausgehend, viele Teilbereiche des Öko-Marketings, des Sozio-Marketings und Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaft. Diese eher zufälligen Implementierungen entspringen in der Regel jedoch nicht einem systematisch-konzeptionellen Gedankengebäude, tragen aber zu einer Verwischung der genannten Ansätze bei.

So hat die um verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse erweiterte Konzeption zwar auch die Ressourcenschonung bei der Produktion, dem Vertrieb und der Entsorgung sowie die Berücksichtigung wettbewerbsstrategischer Erwägungen zum Ziel, die Primärmotivation liegt aber im Bereich der ethisch-sozialen Verantwortung, die durch die Konzentration auf die individuellen Verarbeitungsprozesse eine werte-spezifische Beeinflussung des Konsumenten anstrebt. Insofern könnte man das Konzept für einen Teilaspekt des Sozio-Marketings halten. Dagegen sprechen jedoch eine ganze Reihe von Faktoren, die im Gegensatz zum Sozio-Marketing-Ansatz, Inhalt der vorzustellenden Konzeption sind.

· Sozio-Marketing konzentriert sich zwar nicht ausschließlich, jedoch in erster Linie auf Non-Profit-Organisationen und blendet dadurch das Hauptproblem vieler Unternehmen in einer hochentwickelten Volkswirtschaft, den rigorosen Verdrängungswettbewerb, weitgehend aus.

· Sozio-Marketing ist in den seltesten Fällen in einen konzeptionellen Rahmen gebettet: So beschränken sich viele Ansätze entweder auf abstrakte, gesellschaftspolitisch-normative Zielsysteme oder erschöpfen sich in mehr oder minder gut umgesetzten Kampagnen, d.h. sie kaprizieren sich lediglich auf die Instrumentalebene und dort insbesondere auf die Kommunikationspolitik.

· Sozio-Marketing beschäftigt sich u.a. sehr intensiv mit der Frage, was ein gesellschaftliches Anliegen ist, welches forciert werden sollte. Diese Frage nach einem möglichen Wertekonflikt (z.B. die Rechtmäßigkeit von Geburtenregelung) und der Legitimation stellt sich für die konzeptionelle Erweiterung so nicht.

Die Definition über Marketing-Konzeptionen wurde letztlich auch deshalb in die vorliegende Arbeit mitaufgenommen, da mit der Erweiterung ein möglichst holistischer Entwurf angestrebt wird, von dem alle Unternehmensteile betroffen sind, ausgehend von der "Keimzelle Marketing" als Querschnittsdisziplin. Dabei sei darauf hingewiesen, daß sich der additive Charakter der vorzustellenden Erweiterung nicht nur auf die strategische Ebene beschränkt, sondern sich auf alle Phasen einer Marketing-Konzeption erstreckt. Das Design einer Konzeption, das sich aus einer Vielzahl von einzelnen Phasen zusammensetzt, beispielsweise aus der genauen Analyse der relevanten Märkte, der Positionsbestimmung des eigenen Unternehmens oder auch aus der Marketingplanung und -organisation, soll also nicht ersetzt oder um eine weitere Phase ergänzt werden. Es geht vielmehr darum, die verhaltenswissenschaftlichen Erkenntnisse zum ökologisch divergenten Verhalten auf allen Ebenen nutzbar zu machen. Die grundsätzliche Konzeptionsstruktur muß also nicht verändert werden. Daraus ableitend ergibt sich, daß sich das nachfolgende Modell auf die bereits oben genannten drei Kernbereiche (Ziel, Strategie, Mix) der Konzeption beschränken kann, da sich an der Notwendigkeit einer genauen Marktanalyse oder einer marketingstrategischen Selektion prinzipiell auch durch verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse nichts ändert.

Es versteht sich dabei von selbst, daß ein derartige Erweiterung im Rahmen einer Diplomarbeit als relativ grober Entwurf eingestuft werden muß, der (unter weitestgehender Vermeidung persönlicher Glaubensbekenntnisse) lediglich schlaglichtartig Ansätze aufzeigen kann.

2. Basisdeterminanten und Prämissen der konzeptionellen Erweiterung

Die Basisdeterminanten leiten sich nicht zwangsläufig aus den Erkenntnissen der Verhaltenswissenschaft ab. Trotzdem muß der gedankliche Entwurf einer Erweiterung vor dem Hintergrund dieser Einflüsse und Randbedingungen gesehen werden, will er einer ganzheitlichen Denkweise gerecht werden. Die nachfolgenden Erläuterungen sollen demnach in einem eigenen Abschnitt abgehandelt werden, da sie nicht zum eigentlichen Kern des Entwurf gehören, jedoch das Verständnis in die Notwendigkeit seiner Umsetzung erhellen können.

2.1 Das Verantwortungsdilemma

Setzt man das in Regelkreise gebettete sozio-technische System des Unternehmens mit dem menschlichen Individuum gleich, so verwundert es nicht, daß auch die Unternehmen, in Anlehnung an die im ersten Hauptabschnitt vorgestellte Normen-theorie von SCHWARTZ, die Verantwortlichkeit ihres Handelns primär nicht bei sich selbst sehen. Übertragen auf dieses Modell erkennen die Unternehmen mit Hilfe immer besserer Instrumente (z.B. Ökobilanz, Produktlinienanalyse etc.) zwar die Konsequenzen ihres unternehmerischen Tuns (AC), negieren jedoch in letzter Konsequenz die Verantwortlichkeit (AR) dafür, denn schließlich -so die gängige Argumentation- müsse der Staat als Gestalter des Handlungsrahmens für wett-bewerbsneutrale und -erhaltende Regelungen sorgen. Überdies bestimme letztlich der Markt, also der Kunde, was produziert würde und nicht das Unternehmen. Andererseits sieht der Staat -überspitzt ausgedrückt- in der "unsichtbaren Hand" des Adam Smith ein Regulativ zwischen den Marktpartnern, in das man, in Abhängigkeit der politischen Überzeugung, mehr oder weniger nicht eingreifen sollte, während der Konsument die Verantwortung ohnehin bei den anderen beiden Marktteilnehmern sieht.

Dadurch entsteht ein Circulus vitiosus von wechselseitiger Verstärkung und Verfestigung der ökologischen Verantwortungsdelegation innerhalb einer Volkswirtschaft. Einer der zentralen Ansatzpunkte der konzeptionellen Erweiterung muß demnach die Einsicht in die Notwendigkeit sein, daß der Impuls zu einer Veränderung in Richtung einer nachhaltigen Wirtschaft nur aus der Wirtschaft selbst kommen kann. Dies mag zunächst verwundern, da man die Verantwortung zur Schonung des Kollektivgutes Umwelt traditionsgemäß eher bei denjenigen Institutionen vermuten möchte, die sich zum Erreichen von kollektiven Zielen konstituiert haben und darin auch ihre primäre Zielrichtung sehen, während dem Unternehmen mit seinem Primärziel der Gewinnerwirtschaftung bestenfalls die Verantwortung als "Arbeitsplatzbeschaffer" zugeschrieben wird. Die Verantwortung des Unternehmens reicht jedoch wesentlich weiter. Die nachfolgende Abbildung soll den Sachverhalt zum Verantwortungsdilemma nochmals verdeutlichen.

Abb. 21: Ökologische Verantwortungsdelegation der Marktteilnehmer

 

 

Quelle: eigener Entwurf

Will das Unternehmen diesen Teufelskreis im Hinblick auf eine ökologische Zielsetzung durchbrechen, muß es sich zur gesellschaftlichen Verantwortung seines Tuns und einer umfassenden ökologischen Ethik bekennen! Ohne einen weiteren Beitrag zur aktuellen Ethik-Diskussion liefern zu wollen, sei hier auf das von JONAS formulierte Prinzip der Verantwortung hingewiesen, das, übertragen auf die Unternehmung, ein Wirtschaften im Einklang mit der Natur einfordert, da nur das ökologisch Richtige langfristig auch ökonomisch sinnvoll sein kann. ALT bezeichnet den Schutz der Umwelt sogar als ureigenste Funktion der Wirtschaft, da die Lehre der richtigen Ökonomie im Grunde die Lehre vom guten Haushalten sei, ergo vom sinnvollen Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen. Auch ULRICH/ FLURI erkannten schon früh die enorme Bedeutung der gesellschaftlichen Verantwortung der Unternehmen: "Natürlich werden Gewinnerzielung und Rentabilität weiterhin grundlegend für das Überleben der Unternehmung ... sein; die Legitimation des Gewinnstrebens wird jedoch zunehmend von der Erfüllung echter gesamtgesellschaftlicher Bedürfnisse abhängen. Diesen Bedürfnissen ... gerecht zu werden, wird in Zukunft die größte Herausforderung -und vielleicht Existenzfrage- für die Unternehmung darstellen."

Die Notwendigkeit für ein ökologisch sinnvolles Unternehmensverhalten, daß die Konsequenzen seiner Aktivitäten für die Umwelt reflektiert, hängt jedoch nicht nur von einer unternehmerischen Verantwortung oder einem ethischen Anspruch ab, sondern wird auch von den Gestaltungsmöglichkeiten kraft Machtdisposition innerhalb des Marktgefüges determiniert.

2.2 Die Machtstrukturen der Marktteilnehmer

Unter Machtstrukturen soll im folgenden das (wertneutrale) Gestaltungspotential von Marktteilnehmern verstanden werden, ökologische Zielsetzungen, wenn sie denn vorhanden sind, gegenüber Dritten durchzusetzen. Dabei soll untersucht werden, welcher der Marktteilnehmer die größte Macht hat, den Wandel von der Konsumgesellschaft zur Sustainable Society zu initiieren, sofern die Verantwortung für die Umwelt als verinnerlicht vorausgesetzt werden kann.

2.2.1. Machtposition Individuum

Die Ausführungen des ersten Hauptabschnittes machten deutlich, daß das Individuum von zahlreichen ökologischen Barrieren, Sozialisierungseinflüssen und einer Reihe anderer (endogener und exogener) Faktoren so stark beeinflußt wird, daß es ihm sehr schwer fällt, ökologisch angemessen zu leben und entsprechende Zielsetzungen zu vertreten. Einige Faktoren davon sind genetisch bedingt und unabänderlich, da beispielsweise die Entwicklung der Sinnesorgane (sensorische Fähigkeiten) nicht der zunehmenden Perfektion der technischen Entwicklung, mit ihren Auswirkungen auf das ökosystemare Umfeld, angepaßt werden können. Andere Einflußgrößen dagegen, z.B. die exogen-situativen Faktoren, sind relativ leicht manipulierbar, jedoch nicht oder nur unverhältnismäßig schwer durch das Individuum selbst. So kommt die faktisch vorhandene, ökologische Konsumentenmacht nicht auf breiter Basis zum Tragen, sofern man von vereinzelten "Öko-Pionieren" vom Schlage eines Hr. Eduard Bernhard einmal absehen will.

 

Ohne Zweifel würde man der Stellung des Individuums als Marktteilnehmer jedoch nicht gerecht bzw. fahrlässig unterschätzen, wenn man es lediglich als machtlosen Homo consumens betrachten würde, ohne jeglichen Handlungsspielraum im Bezug auf ökologische Initiativen.

 

In diesem Zusammenhang sei beispielsweise auf die kommunitaristische Bewegung hingewiesen, die auf einen im Alten Testament und der altgriechischen Philosophie zurückgehenden Ansatz beruhend, die innere soziale Verpflichtung und die Eigenverantwortlichkeit des Individuums stärken will. Dabei geht der Kommunitarismus davon aus, daß die wertebildenden Institutionen (Familie, Schule, Nachbarschaft) einem Zerfallsprozeß unterworfen sind, sodaß das Individuum selbst eigenverantwortlich soziale Funktionen übernehmen muß. Als erfolgreiches Umsetzungsbeispiel nennt ETZIONI die amerikanische Stadt Seattle: Da der örtliche "Health Commissioner" die Geldmittel für dringend benötigte Rettungswagen für Herzinfaktopfer nicht mehr bereitstellen konnte, mobilisierten Bürgerinitiativen über 400.000 Einwohner für Erste-Hilfe-Kurse, sodaß ein Bürger von Seattle mit Herzinfakt in der Regel innerhalb von 30 Sekunden durch Mitbürger betreut werden kann. Der Zusammenhang zwischen der Anzahl der Kurse und der Abnahme irreparabler Hirnschäden, die normalerweise dem Herzinfakt nach wenigen Minuten folgen, konnte bewiesen werden. Ob dieses Zusammengehörigkeitsgefühl jedoch aufgrund der bereits ausführlich beschriebenen Spezifika umweltrelevanter Probleme und ihrer erschwerten Bewertbarkeit durch das Individuum in breitem Umfang auf öko-logische Belange übertragen werden kann, ist fraglich.

Auch die ökologischen Bewegungen, die meist von ökologischen Meinungs-führern initiiert werden, sollen nicht unerwähnt bleiben. Diese können sich als Einzelpersonen engagieren oder sich als Bürger-, Verbraucher-, Umwelt- und Studenteninitiativen konstituieren bzw. jede andere erdenkliche Form annehmen und durchaus auf das Machtgefüge des Marktes, insbesondere mit Hilfe neuer Medien, Einfluß nehmen. Dabei ist jedoch zu beachten, daß die verantwortungsgerechte Willenslenkung durch das Individuum oder relativ kleinen meist unorganisierten gesellschaftlichen Gruppen, stets großen finanziellen, zeitlichen und räumlichen Restriktionen unterworfen ist.

Die ökologischen Gestaltungsmöglichkeiten des Individuums sind aus diesem Blickwinkel also relativ gering und in der Regel lediglich auf die Auswahl der zur Konsumption notwendigen und von der Wirtschaft bereitgestellten Güter beschränkt.

2.2.2. Machtposition Staat und Institutionen

Die Asymmetrie der Machtverteilung für ökologische Initialzündungen setzt sich im Bereich des Staates fort. So stehen den globalen Eingriffsmöglichkeiten der Politik unzureichende Verantwortlichkeiten und Haftungen gegenüber. GROßMANN sieht dieses Problem in erster Linie durch den Faktor Zeit verursacht: "Die Politiker, auf die die Bevölkerung und Teile der Wirtschaft hoffen, können längerfristige Verantwortlichkeiten systembedingt nicht wahrnehmen." Dies führt er u.a. darauf zurück, daß die Politiker, eingeengt durch ihre Legislaturperiode sich lediglich Aufgaben zuwenden können, die maximal in drei Jahren lösbar sind. Dies gilt im besonderen Maße natürlich für ökologische Probleme, die sich -wie bereits beschrieben- sehr langfristig und nicht linear entwickeln. SCHMIDHEINY sieht die ökologische Handlungsunfähigkeit der Politiker dagegen darin begründet, daß ihr Verbleib im Amt von den Stimmen der heutigen Wähler abhängt, und nicht von den zukünftig geborenen Menschen, die die Kosten für die Umweltzerstörung tragen müssen. Folgt man der Argumentation von LEIPERT, so liegt der Grund für die unzureichende Repräsentanz von Umweltinteressen in unserem institutionellen System an der mangelnden monolithischen Stellung der Politik, insbesondere im Hinblick auf den Einfluß der Wirtschaft, die durch die fiskalische Abhängigkeit des Staates von sprudelnden Steuerquellen determiniert ist. Die "schillernde Rolle" des Staates bei der Schaffung eines ökologischen Ordnungsrahmens sieht er durch den Begriff des Staatsversagens charakterisiert.

Ergänzt man diese Problemfaktoren um die überwiegend räumliche Begrenztheit politischer Entscheidungen und dem Vorwurf der "Reparaturdienstpolitik", die aus der Unfähigkeit im Umgang mit komplexen Systemen herrührt, sowie anderer hemmender Einflußfaktoren, so wird deutlich, daß die Politiker als Motor eines ökologischen Umbruchs einen vergleichsweise geringen Gestaltungsspielraum haben. Auch WENKE kommt bei seiner makroökonomischen Analyse zur Umweltpolitik zu einem ähnlichen Ergebnis, wobei er die Schwachstelle eher bei den Instrumenten der Verbraucherpolitik sieht. Demnach hat der Gesetzgeber prinzipiell nur zwei Möglichkeiten, direkt auf das Verbraucherverhalten und bewußtsein einzuwirken: Zum einen mittels Gesetzesregelungen und entsprechenden (positiven und negativen) Sanktionen, die ein Umweltbewußtsein quasi erzwingen sollen. Dieser Weg ist jedoch ohne Aussicht auf Erfolg, denn dahinter steht nicht nur ein immenser bürokratischer Kontrollaufwand, sondern auch das Menschenbild des unmündigen Bürgers - ohne Einsicht und Eigenmotivation wird dieser letztlich nur dem staatlichen Druck nachgegeben und die soziale Ungerechtigkeit bei der Beschneidung seines Entscheidungsspielraumes beklagen! Zum anderen besteht die Möglichkeit der Information und Beratung durch umweltorientierte Verbraucheraufklärung, die freilich die emotionalen Beziehungsfelder und wahrgenommenem Kaufrisiken des Individuums wesenstypisch nicht oder nur unzureichend berücksichtigen kann.

Diese theoretischen Erklärungsversuche für die politische "ÖkoOhnmacht" können an zahlreichen Beispielen aus dem politischen Alltag festgemacht werden. Im Informationsbereich wäre hier die Problematik des Umweltzeichens zu nennen, im Bereich der Gesetzgebung das "Duale Abfallsystem", die beide die in sie gesteckten Ziele und Hoffnungen nicht nur verfehlt, sondern darüber hinaus den Konsumenten in seiner Verunsicherung oder Trotzhaltung oft noch nachhaltig verstärkt haben! Ferner ist fast jedes ökologische Problemfeld, daß gegenwärtig im politischen Diskurs behandelt wird, durch "... zahlreiche Mißstände, Mängel und Versäumnisse in der Umweltpolitik" gekennzeichnet, wie der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem "Umweltgutachten 1996" nüchtern feststellt. Unabhängig von der politischen und ideologischen Färbung erweckt das politische Machtspiel um dringende ökologische Problemlösungsentwürfe zunehmend den Eindruck einer Farce, die durch gegenseitige Verhinderungs- bzw. Schuldzuweisungen und Verzögerungstaktiken geprägt ist. Die Diskussionen um die Dosengebühr, das Ringen um die Ökosteuer und das neue Abfallgesetz, das Gezerre um die Verpackungsverordnung, die Querelen um den Verordnungsentwurf zur Batterie-Verwertung und viele andere "unerledigte" Problemfelder lassen ROTH zurecht von einem politisch motivierten "Flop Naturschutz" sprechen, der nicht nur Zeugnis über die mangelnde Problemlösungskompetenz der Politik ablegt, sondern auch für Unternehmen mit dem Problem der zunehmenden Planungsunsicherheit behaftet ist.

Im Bereich der institutionellen Macht kann man (über die Politik als Instanz hinaus) in Anlehnung an BALDERJAHN prinzipiell zwischen Kirche, Schule und anderen Organen differenzieren, wobei im Hinblick auf die Marktrelevanz der Einfluß von organisierten Umwelt- bzw. Aktionsgruppen und Vereinen zum Erhalt oder Schutz der Umwelt wohl der bedeutenste ist.

Sehr anschaulich zeigte sich dies beispielsweise im Mai letzten Jahres, als die Shell AG ihre ausgediente Ölplattform "Brent Spar" westlich der Äußeren Hebriden versenken wollte. Eine groß angelegte, mediengerechte Kampagne von Greenpeace mit Boykottaufrufen aktivierte das Umweltbewußtsein der Bundesbürger offensichtlich derart stark, daß die Shell AG nach eigenen Angaben im zweiten und dritten Quartal des Jahres 1995 Umsatzverluste von bis zu 30% hinnehmen mußte. Diese und ähnliche Aktionen anderer Umweltorganisationen dürfen jedoch nicht leichtfertig als Ausdruck der Stärke und Macht derartiger Institutionen gedeutet werden! Sieht man nämlich von den zum Teil weitreichenden Imageverlusten betroffener Akteure ab, so ändern die Aktivitäten von Umweltorganisationen an der strukturellen Marktsituation nur wenig. Das zeigt sich z.B. in der Tatsache, daß die Shell AG trotz Brent Spar und umstrittenem Engagement in Nigeria im gleichen Jahr ihren Rohertrag um 16% auf ein Rekordergebnis steigern konnte oder umgekehrt die Foron Hausgeräte GmbH, weltweit erster Hersteller FCKW-freier Kühlschränke, trotz massiver Unterstützungs- und Imagekampagnen durch Greenpeace Anfang diesen Jahres Konkurs anmelden mußte. Damit soll nicht gesagt werden, daß beispielsweise Greenpeace keinen Einfluß bzw. Druck auf Unternehmen ausüben kann (unternehmensseitige Bemühungen im Bereich der PR-Arbeit und des Issues-Managements belegen diesen Druck deutlich), sondern das derartige Aktionen keinen Impuls zu einer dauerhaften Verhaltensänderung initiieren können. Kurzzeitige Boykotts sind eher als Weigerung des Individuums zu verstehen, sich zur Manövriermasse beliebiger Konzerne machen zu lassen und Ausdruck von verletztem Gerechtigkeitsgefühl (Unternehmen agieren im "quasi-rechtsfreien" Raum während Bürger zahlreichen ökologischen Gesetzesrestrektionen unterworfen ist) als Bezeugung ökologischen Bewußtseins.

Es sei hier -vor dem Hintergrund psychischer Erklärungsmuster- die Hypothese erlaubt, daß derartige Organisationen die Ökologisierung einer Gesellschaft nicht vorantreiben (können), da der Bürger durch die Spenden einen "ökolozistischen Ablaß" leistet, der seine Eigenverantwortlichkeit psychisch relativiert. Ferner sind (müssen?) solcherlei Aktivitäten immer mediengerecht ausgerichtet und konzipiert, wodurch das gesamte Spektrum der wahrnehmungspsychologischen Medienproblematik zum Tragen kommt, das sich letztlich in einer unadäquaten Handlungsbereitschaft niederschlägt. Die unbestreitbaren Erfolge von Organisationen wie Greenpeace auf dem Bereich langfristiger Umstellungsprozesse, wie beispielsweise im Bereich der Solartechnik, sind darauf zurückzuführen, daß hier eine gemeinnützige Institution als Quasi-Unternehmen auftritt und das entsprechende Instrumentarium verwendet.

 

2.2.3. Machtposition Unternehmen

Im Vergleich zu den anderen Marktteilnehmern besitzt das Unternehmen -oder volkswirtschaftlich betrachtet, die Wirtschaft- die relativ beste Machtposition im Hinblick auf mögliche, ökologische Initialzündungen. NILL bemerkt dazu: "Gerade weil ein Unternehmer -im Vergleich zum Politiker- einen wesentlich größeren Gestaltungsspielraum -bezogen auf seine Erfolgsmaßstäbe- hat, müssen meines Erachtens die Unternehmer den erforderlichen ökologischen Strukturwandel als wesentliche Akteuere mitgestalten."

Die Forderung von NILL, Umweltschutzdirektor bei Krauss-Maffei, ist im Hinblick auf die Machtstrukturen keinesfalls illusorisch oder praxisfern, sondern kann mittels den relativ umfangreichen Möglichkeiten des Unternehmens begründet werden. Folgende -sicher nicht vollständige- Aufzählung mag dies verdeutlichen:

· Während das Individuum und die Politik aufgrund ihrer Wesensstruktur bei komplexen Systemen leicht überfordert sind, hat die Betriebswirtschaftslehre mit der systemorientierten Unternehmensführungslehre und ihren Weiterentwicklungen (z.B. Holistisches Konzept) schon früh Instrumente entwickelt, um mit ineinander verwobenen und/oder voneinander abhängigen Subsystemen zielorientiert umzugehen.

· Die Instrumente des strategischen Managements versetzten das Unternehmen in die Lage, sich sehr langfristig mit Entwicklungen auseinanderzusetzen und daraus Handlungsprioritäten abzuleiten. Somit sind moderne Unternehmen, insbesondere Konzerne -anders als die an Legislaturzyklen gebundene Politik- in der Lage, dauerhafte Entwicklungen besser zu adaptieren.

· Durch die zunehmende Globalisierung sind heute schon mittelständische Unternehmen "Global Player" geworden. Die im Hinblick auf Lohnnebenkosten oft beklagte räumliche Unabhängigkeit moderner Unternehmen löst sie aber gleichzeitig von regionalen Restriktionen und Machtgefügen.

· Lediglich das Unternehmen ist in der Lage, die Schere des ökologisch divergenten Verhaltens seiner Mitarbeiter während der Arbeitszeit durch die Schaffung entsprechender Werkzeuge und der Evaluation ökologischer Maßnahmen zu schließen und so auch ein Umweltbewußtsein für die Freizeit zu schaffen.

· Die Beeinflussungsinstrumente des modernen Marketings sind "mächtiger", umfassender und nachhaltiger, als bloße Aufklärungskampagnen öffentlicher Institutionen. Nicht ohne Grund werden in den Ansätzen des Marketings wertvolle Instrumente gesehen, um den notwendigen ökologischen Wandel zu beschleunigen.

Bei der Betrachtung der Gestaltungsmöglichkeiten soll keineswegs verharmlost werden, daß auch das Unternehmen in ein vielschichtiges Beziehungsgeflecht eingebunden ist, indem es einen Interessensausgleich zwischen ökomischen, sozialen und ökologischen Zielsetzungen erzielen muß. Auch der Einwand, daß das Unternehmen nicht Problemlöser für "alles" sein kann, mag berechtigt sein. Aus den bisherigen Erläuterungen schlußfolgernd kann jedoch gesagt werden, daß das Unternehmen das größte ökologische Gestaltungspotential auf sich vereint.

Betrachtet man ferner das Unternehmen, insbesondere das kommerzielle Marketing, in Anlehnung an MEFFERT als Wegbereiter unserer Konsum- und Wegwerfgesellschaft, wird im Hinblick auf das Verantwortungsdilemma die tragende Bedeutung des Marketings deutlich.

2.3 Das integrierte Management

Die Darstellung der unterschiedlichen Rollen der Marktteilnehmer sollte nicht zum Schluß führen, daß nur die Wirtschaft allein der Antrieb einer Umgestaltung zu einer Sustainable Society sein kann. Vielmehr ist ein Zusammenwirken aller Interaktionspartner notwendig, um einen gesellschaftspolitischen Umbruch gestalten zu können. Während bei dieser kooperativen Umgestaltung die Unternehmung innerhalb der Volkswirtschaft die Initiativrolle einnimmt, so spielt das Marketing innerhalb des Unternehmens die Hauptrolle als Motor der Umgestaltung. Dabei kann auch das Marketing nicht isoliert von allen anderen Unternehmensteilbereichen gesehen werden. Der Autor schließt sich deshalb der Forderung zahlreicher Autoren aus der Betriebswirtschaft und der Marketingwissenschaft an, daß ein ökologisches Marketing stets in ein "integriertes Umweltmanagementsystem" eingebettet sein muß, wenn es seine Zielsetzungen wirklich erreichen will. Diese Notwendigkeit gilt ebenso für die nachfolgend darzustellende konzeptionelle Erweiterung, weshalb man auch von einer Prämisse sprechen könnte.

Die ganzheitliche Außeinandersetzung mit den Umweltproblemen seitens des Unternehmens mündeten in unterschiedlichsten Konzepten und einer entsprechenden Begriffsvielfalt, die vom "offensiven" oder "marktorientierten Umweltmanagement" über "Strategisches Ökologie-Management" bis zu "betriebswirtschaftlicher Umweltpolitik" reicht, d.h. die Literatur verbindet mit dem Begriff Umweltmanagement keinen einheitlichen Vorstellungsinhalt.

Eine kurze begriffliche Abgrenzung scheint also nötig: Im Hinblick auf den Zielbezug, den funktions- und unternehmensübergreifenden Charakter sowie die Zeit- und Marktorientierung läßt sich in Anlehnung an MEFFERT und KARDOS/ MANSFELD folgende Definition ableiten: Umweltmanagement ist ein integrierter Planungs-, Durchsetzungs- und Kontrollprozeß aller Unternehmensaktivitäten in allen Unternehmensbereichen mit dem im Leitbild verankerten Ziel der Verminderung und/oder Vermeidung von Umweltbelastungen durch holistische Lösungs-konzepte und modifizierten Unternehmensprinzipien (z.B. Kreislaufprinzip), die organisatorisch verankert sein müssen. Der Integrationsaspekt bezieht sich hierbei auf die Vernetzung mit anderen Managementsystemen, da sich z.B. durch die systematische Bündelung mit dem Sicherheitsmanagement (Risk Management) zahlreiche Synergieeffekte ergeben.

Die nachfolgende Abbildung soll den ineinandergreifenden Charakter des integrierten Management-Systems veranschaulichen. Das integrierte Managementsystem umfaßt danach die Bereiche Führung, Personal, Kommunikation, Infrastruktur, F&E, Beschaffung, Produktion, Marketing, Logistik und den Bereich der Entsorgung. Dabei ist zu berücksichtigen, daß sich hinter den einzelnen Elementen des System zum Teil sehr umfangreiche Methoden und Instrumente verbergen. So subsumiert die Komponente "Information" (als Bestandteil aller oben genannten Bereiche) alle betrieblichen Informationssysteme von ökologischer Relevanz, wie beispielsweise die Öko-Bilanz, die Produktlinienanalyse, die Stoffbilanzen, computergestützte Rechnersysteme für interne und externe Informationsanalysen (Umweltberichterstattung), Umwelt-Auditing und eine ganze Vielzahl von methodischen Instrumenten. Aus dieser Abbildung geht unmittelbar hervor, daß isolierte ökologische Maßnahmen im Bereich des Marketings zur Wirkungslosigkeit verdammt sind, wenn sie nicht in ein integratives, übergeordnetes und alle Bereiche des Unternehmens umfassendes Umweltmanagementsystem eingebettet sind.

Abb. 22: Das integrierte Management-System

 

 

Quelle: eigener Entwurf

Darüber hinaus umfaßt dieses System auch das Orientierungskonzept der Corporate Identity als Konstruktionsplan für eine interne Identitätsfindung und eine externe Identitätsvermittlung. Ferner sei darauf hingewiesen, daß das integrierte Management-System auch die Rolle des Handels als "ökologischer Gatekeeper" explizit miteinschließt, d.h. als Anspruchsgruppen nicht nur die Konsumenten, sondern auch die Absatzmittler, die Lieferanten, den Mitbewerber und nicht zuletzt auch die eigenen Mitarbeiter betrachtet.

 

Die enge Verzahnung aller Elemente dieses Systems soll anhand eines Exempels verdeutlicht werden: Die Bemühungen eines glaubwürdigen Marketings im Bereich der Produktgestaltung werden beispielsweise ad adsurdum geführt, wenn bei der Produktion umweltschädliche Lösungsmittel verwendet werden. Verdunsten diese im Verarbeitungsprozeß, kann dies zu Belastungen des Mitarbeiters führen, was bei einer starken Beeinträchtigung Auswirkungen auf seine Konzentrationsfähigkeit haben wird. Dies wird sich zwangsläufig in höheren Ausschußquoten niederschlagen (Qualitätsmanagement) und im Falle des Worst-Case mit einem erhöhten Unfallrisiko verbunden sein (Risk-Management). Gelangen die emmitierten Stoffe gar in die Atmosphäre, sind Sicherungs- und Berichtssysteme notwendig, um die Belastung der Umwelt zu minimieren und Vorkehrungen gegen den Wiederholungsfall zu schaffen (Umweltmanagementsystem).

Die Bedeutung integrierter Systeme für die Praxis zeigt sich sehr eindrücklich am Beispiel der Höchst AG. Trotz normativer Festlegung von Umweltschutzleitlinien im Verband der Chemischen Industrie im Jahre 1986, in dem sich alle Chemieunternehmen verpflichteten, "... ihre Produkte sicher herzustellen...", "...Umweltschutz aus eigener Initiative und eigener Verantwortung" heraus zu betreiben und "... den sachlichen Dialog mit der Öffentlichkeit ... zu verbessern" zeigten die Störfallserien 1993 und Anfang diesen Jahres mit ihren eklatanten Umweltauswirkungen und einer mangelhaften Informationspolitik, daß es mit Teillösungen innerhalb eines Teilbereiches (z.B. des Marketings) nicht getan ist. Glaubwürdigkeit als tragende Säule kann, angesichts dieser Störfälle, der höchsten Unfallrate pro Mitarbeiter und gleichzeitig dem besten Betriebsergebnis in der Branche, auch mit der noch so ausgefeiltesten ökologisch orientierten, konzeptionellen Marketingerweiterung nicht erreicht werden. Den vernetzten Auswirkungen betrieblicher Tätigkeit kann also im Hinblick auf sinnvollen Umweltschutz im Marketing nur mit einer integrativen Vernetzung aller organisatorischen, technischen und mitarbeiterorientierten Faktoren begegnet werden.

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