Aus der Vielzahl empirischer Untersuchungen zu der Divergenz zwischen Umweltbewußtsein und bekundetem, ökologisch relevantem Verhalten soll zur Illustration der Ausgangssituation eine besonders anschauliche Befragung von DIEKMANN und PREISENDÖRFER herausgegriffen werden. Komparabel zu den Ergebnissen ähnlicher Untersuchungsansätze stellen auch diese Autoren eine enorme Kluft zwischen dem hohen ökologischen Bewußtsein und seiner Umsetzung im Alltag fest. So gaben beispielsweise 85% aller von ihnen Befragten an, sich so weit wie möglich umweltgerecht zu verhalten, und fast 90% betrachten umweltbewußtes Verhalten jedes einzelnen als wichtigste Voraussetzung für die Lösung der Umweltprobleme. Gleichzeitig benutzten aber 74% der besonders Umweltbewußten ihr Auto für die letzte Urlaubsfahrt, 54% davon sogar ein Fahrzeug ohne Katalysator. Umgekehrt entsorgen jedoch 91% aller Autofahrer ohne Abgasreinigung ihre Haushaltsbatterien ordnungsgemäß und 93% bringen ihr Altpapier zum Container. Besonders illustrativ wird die Disproportion in einem ergänzend zur Befragung durchgeführten Experiment: Drei Monate nach den Interviews wurde an die umweltbewußten Probanden ein Prospekt einer fiktiven Drogerie versandt, in dem im Preis reduzierte Markenware mit dem Hinweis angeboten wurde, daß aufgrund der strengen Umweltschutzgesetzgebung die Lager mit FCKW-haltigen Artikeln geräumt werden müßten. Obwohl 80% der Befragten Kenntnis von den schädlichen FCKW-Folgen hatten, bekundeten mehr als die Hälfte aller Angeschriebenen eine Kaufabsicht. Das Ergebnis überrascht insofern, da sich 45% aller zuvor Befragten nach eigenen Angaben auch dann umweltbewußt verhalten, wenn es erheblich höhere Kosten und Mühen verursacht.
Es versteht sich von selbst, daß die Darstellung einzelner Untersuchungen oder die Aggregation mehrerer, sich lediglich auf einen Teilaspekt des Umweltverhaltens beziehenden, Ergebnisse nicht zielführend sein kann, um einen adäquaten Abriß über den Stellenwert und den Umfang der konsumbedingten Umweltproblematik in der Öffentlichkeit darzustellen. Darüber hinaus beziehen sich die, aus unterschiedlichsten Quellen und Methoden hervorgehenden, Einzelergebnisse oft auf inkongruente Definitionen des Konstruktes Umweltbewußtsein.
Einen in jeder Hinsicht fundierten Ansatz findet man dagegen bei WIMMER. Auf der Basis von Haushaltspaneldaten, die von der GfK in Anlehnung an das vielbeachtete, mehrdimensionale Operationalisierungskonzept von MALONEY/ WARD erhoben werden, ergibt sich ein differenziertes, längsschnittorientiertes Abbild des Umweltbewußtseins.
Abb. 02: Zeitliche Entwicklung des Umweltbewußtseins in Westdeutschland.
Quelle: eigener Entwurf modifiziert nach Wimmer (1995), S. 31
WIMMER unterscheidet hierbei in der Gruppe der Umweltbewußten die sog. Kerngruppe, die sich persönlich -über die allgemein Umweltorientierten hinaus- auch zu erheblichen Einschränkungen für den Umweltschutz bereit erklärt. Auch wenn die Entwicklung seit Anfang der 90er Jahre leicht rückläufig ist, so kann dennoch festgestellt werden, daß das Umweltbewußtsein der westdeutschen Haushalte ein bemerkenswert hohes Niveau aufweist.
Bei Untersuchungen zur ökologischen Betroffenheit von Unternehmen und des zunehmenden Ökologie-Pull's seitens der Konsumenten und des Handels kamen MEFFERT/ KIRCHGEORG zu ähnlichen Ergebnissen.
Abb. 03: Bekundetes umweltorientiertes Kaufverhalten
Quelle: Meffert/Kirchgeorg (1995), S.20 ff.
Diese Erkenntnisse zum Umfang des Umweltbewußtsein lassen sich durch eine unüberschaubare Fülle von weiteren Studien belegen, auch wenn die Ergebnisse in Abhängigkeit der Disziplin, des Forschungszieles, der durchführenden Institution, der konjunkturellen Rahmenbedingungen und einer Vielzahl weiterer Einflußfaktoren zum Teil stark divergieren. Während beispielsweise die Stern-Studie "Dialoge 3" ein weiter wachsendes Umweltbewußtsein konstatiert, spricht das Institut für praxisorientierte Sozialforschung von einem gleichbleibend hohen Umweltbewußtsein, indessen Infratest einen Rückgang der Sensibilitäten gegenüber der Umwelt beobachtet. Eine Übersicht über den aktuellen Stand in der ökologisch relevanten Bewußtseinsforschung findet sich bei FEMERS. Unabhängig davon, ob man nun die Sorge um die Umwelt auf Platz eins oder drei einer Werteskala abträgt, es besteht kein Zweifel darüber, daß die Umweltsensibilität in der (deutschen) Gesellschaft nach wie vor einen hohen Stellenwert einnimmt, auch wenn sich ihr absoluter Umfang nicht exakt quantifizieren läßt.
Eingedenk der gesellschaftlichen Entwicklung des Themas Ökologie, von den ersten Ursprüngen der Wahrnehmung umweltrelevanter Themenkomplexe Mitte der 50er Jahre, über die erstmalige Politisierung der Ökologie mit dem Antritt der sozialliberalen Koalition im Jahre 1969, der Erfolg der Grünen als Bundespartei Mitte der 80er Jahre bis in die mediengeprägte Gegenwart hinein, ist es mehr als erstaunlich, daß immer noch eine immense Verhaltenslücke in nahezu allen Bevölkerungsschichten anzutreffen ist. So läßt sich die Eingangs von DIEKMANN und PREISENDÖRFER festgestellte Divergenz im ökologischen Handeln auch anhand des statistischen Datenmaterials -und damit einer dem Thema angemessenen Untersuchungsbasis- verifizieren.
Einige Zahlen des Umweltbundesamtes und verschiedener anderer Datenquellen sollen dies veranschaulichen:
· Seit dem Beginn der Altglasverwertung im Jahre 1974 stieg zwar die Recyclingquote von Behälterglas aus privaten Haushalten auf 54% im Jahre 1994, ein Fehlfarbenanteil bei Weißglas von 28% verhindert jedoch, daß bei einem Weißglasanteil in der Neuproduktion von über 60% lediglich 30% Altglas wiederverwertet werden kann.
· Auch der Mengenanteil von Mehrwegflaschen stieg von 13,1 % im Jahre 1984 auf nun fast 36% im Jahre 1994. Die Verteilung der Quoten ist jedoch höchst unterschiedlich: Während der Mehrwegflaschenanteil bei Mineralwasser 91,9% beträgt, beläuft er sich bei Milch auf ganze 17%.
· Der Elektronikschrott aus privaten Haushalten nimmt jährlich um 2% zu. Setzt man die Menge aller (ordnungsgemäß) entsorgten Haushaltsgeräte, Unterhaltungselektronik-Geräte etc. mit der Bevölkerungsanzahl in Relation, so ergeben sich z.Zt. 23,4 kg elektronischer Sondermüll pro Einwohner und Jahr.
· Der Energieverbrauch der privaten Haushalte nimmt unaufhörlich zu. Das läßt sich beispielsweise an der Tatsache ablesen, daß bei einem seit Jahren gleichbleibenden Gesamtprimärenergieverbrauch in der BRD von ca. 480 Mio. t SKE die Industrie ihren Verbrauchsanteil von 50% in den 50er Jahren auf heute 27% senken konnte.
· Ähnlich verhält es sich bei dem Kraftstoffverbrauch: Trotz 25%iger Reduzierung des Verbrauches (bei Neufahrzeugen) in den letzten zehn Jahren seitens der Industrie, steigt der Kraftstoffverbrauch durch den privaten Verkehr jährlich um 1,5% pro Personenkilometer.
· Der durchschnittliche Wasserverbrauch pro Haushaltsmitglied steigt ebenfalls seit Jahren kontinuierlich an. Wurden im Jahre 1950 noch 85 l pro Einwohner und Tag verbraucht, waren es im Jahre 1995 bereits 146 l. Dabei wird für Kochen und Trinken pro Einwohner und Tag genauso viel Wasser verwendet, wie für die Reinigung des heimischen PKW's.
· Die Gesamtmenge des Hausmülls pro Einwohner und Jahr in der Bundesrepublik steigt unaufhörlich. Während es im Jahre 1950 ca. 100 kg waren und 1975 bereits 300 kg, fielen im Jahre 1994 insgesamt 425 kg Hausmüll pro Einwohner an. Ein mit diesem jährlich entstehenden Müll beladener Güterzug hätte eine Gesamtlänge von Berlin nach Kananga (Zentralafrika).
Nachfolgende Tabelle zum Verkehrsverhalten der Bundesbürger soll die Betrachtung zum tatsächlichen Kauf bzw. Verbrauchsverhalten abrunden.
Abb. 04: Daten zu Verbrauchs und Umweltverhalten privater Haushalte
Kategorie (BRD) |
1990 |
1991 |
1992 |
1993 |
1994 |
Privater Flugverkehr in Mio. Flugpassagiere und Reiseausgaben in Mrd. DM (in Klammern) |
54,3 (48) |
55,3 (53) |
61,3 (58) |
64,3 (63) |
70,7 (67) |
Privater Kraftfahrzeugbestand pro 100 Einwohner und damit zurückgelegte Personenkilometer pro Jahr (in Klammern) |
37 (7.600) |
39 (7.916) |
40 (8.887) |
41 (10.887) |
50 (11.325) |
Anteil des motorisierten Individualverkehrs in Prozent an der Gesamtverkehrsleistung im Vergleich zum ÖSPV (in Klammern) |
79,5 (10,5) |
81,3 (9,6) |
81,7 (9,1) |
82,2 (8,8) |
- |
Quelle: eigener Entwurf modifiziert nach Harenberg, B. (1995)