Exogen-psychische Einflußfaktoren auf das Umweltbewußtsein


Wie die Ausführungen über das Wertekonstrukt und die Modelle zur Operationalisierung des Einstellungsbegriffes gezeigt haben, entstehen Werte und Einstellungen nicht isoliert, sondern werden durch externe Faktoren gebildet, verstärkt, beeinflußt oder gehemmt. So zeigen empirische Analysen, wie bereits weiter oben geschildert, einen mittelbaren Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Normen und der Einstellungsbildung. Diesem Zusammenhang soll im folgenden nachgegangen werden, wobei zunächst die psychischen Faktoren Beachtung finden sollen, d.h. diejenigen Einflußparameter, die tendenziell von geringerem situativen Charakter sind.

2.1.3.1. Kulturelles und soziales Umfeld

Kulturelle und soziale Einflußparameter werden im Rahmen der sozialpsychologischen Austauschtheorie als Sozialisierungsbedingungen bezeichnet, die durch Sozialisierungsmechanismen das Werte- und Einstellungsgefüge jedes Individuums prägen. Dabei ist im Rahmen spezifischer Aktivitäten sozialer Institutionen von einem lebenslangen Lernprozeß auszugehen, wobei in den ersten beiden Lebensphasen, Kindheit und Adoleszenz, der einschneidenste Einfluß auf die Herausbildung persönlicher Wertvorstellungen stattfindet.

Folgt man der Argumentation von BALDERJAHN, so müssen bei der Analyse von Sozialisierungswirkungen drei Sozialisationsebenen (Indikatoren) unterschieden werden:

a) Kultur (kulturelle Einflüsse)

b) Institution (institutionelle Einflüsse) und

c) Interaktion (soziodemographische Einflüsse)

Abb. 10: Werte- und einstellungsbeeinflussende Sozialisierungsebenen

 

Kultur

Institution

Interaktion

Geographie

Region (z.B. Stadt vs. Land)

Gesellschaftsordnung

Wirtschaftssystem

Technologie

Religion

Familie

Freundeskreis (Clique)

Schule

Arbeitsplatz

Kirche

Medien

Geschlecht

Alter

Einkommen

Bildung

sozio-ökonomischer Status

 

Quelle: eigener Entwurf in Anlehnung an Balderjahn, I. (1986), S. 39

Obwohl sich diese grundlegenden Dispositionen als Bestandteil formierender Sozialisierungsprozesse in fast allen Publikationen zum Umweltbewußtsein auf die Kenntnisse, Werte und Einstellungen des Individuums beziehen, fristet die dahingehende Forschung "... in der Marketingdisziplin ein Schattendasein". D.h. trotz des bekannten Einflusses des kulturellen Bedingungsgefüges auf die Wertebildung des Individuums existieren kaum Untersuchungen, die den Einfluß auf die ökologische Werte- und Einstellungsformierung belegen.

Nachfolgend sollen unter Berücksichtigung dieser Problematik einige wichtige Aspekte der unterschiedlichsten Einflußfaktoren herausgearbeitet werden, um ihre Bedeutung für die Formierung und Beeinflussung des Umweltbewußtseins zu verdeutlichen. Der institutionelle Einfluß der Medien soll jedoch zunächst ausgeklammert werden. Seine immense Bedeutung für die Umweltbewußtseinsbildung läßt es angeraten erscheinen, die Systematik für einen eigenen Gliederungspunkt (siehe 2.1.3.2.) zu durchbrechen.

ad a) Kulturelle Einflüsse

Korrespondierend zu den Erkenntnissen allgemeiner empirischer Studien über interkulturelle Wertunterschiede, zeigen sich auch im Bereich subkultureller Erhebungen signifikant unterschiedliche Werthaltungen. So beweist BILLIG in seiner Erhebung, daß Personen in kleineren Ortschaften -entgegen landläufiger Annahmen- umweltbewußter und handlungsbereiter sind, als ihre Nachbarn in der Großstadt. Ferner übt der, insbesondere in hochentwickelten Industrieländern weit verbreitete Glaube, daß die Technik würde früher oder später schon die Lösung für die Energie- und Umweltkrise entwickeln werde, einen unmittelbaren Einfluß auf die Motivation des Konsumenten aus, selbst einen aktiven Beitrag zu leisten.

Darüber hinaus zeigt PREUSS den kulturellen Einfluß anhand des Begriffes "Waldsterben" auf. Im ökologisch weniger sensiblen Frankreich wurde der Begriff als "le waldsterben" nach den Berichten über das große Ausmaß der Waldschäden in Europa letztlich einfach importiert, da dort der Wald "... nicht ein derartig bedeutsames Kultursymbol darstellt" wie in der Bundesrepublik. So findet in England dagegen insbesondere der Landschaftsschutz eine hohe emotionale Resonanz, welche BRAND auf die alte aristokratische Wertschätzung des Landes, dem Bild Englands als "blühender Garten" in der Frontstellung des 19. Jahrhunderts, zurückführt. Ferner begründet er die weitgehende Akzeptanz der Franzosen gegen-über ihrer Kernkraft als rationalistisches Erbe, das dem technologischen Fortschritt und auch der traditionsreichen französischen Ingenieurskunst verpflichtet ist. Großtechnische Projekte, die "Concorde" oder auch Atomkraftwerke werden, im Gegensatz zu Deutschland, zu Gegenständen des nationalen Stolzes.

Einen interessanten Beitrag zu der Betrachtung kultureller Einflüsse liefert, wenngleich ohne jeglichen empirischen Hintergrund, HORX: Er führt die Beobachtung, daß "... in Deutschland das Ozonloch allemal vernichtender, das Wetter apokalyptischer und die Ölpest am Golf verheerender ausfällt als in Frankreich, England oder den USA" nicht auf divergierende Grenzwerte zurück, sondern auf unterschiedliche Wirtschaftsentwicklungen ("westlich importiertes Wirtschaftswunder") und auf ein anderes Demokratie- und Genußverständnis ("Gnade der geschenkten Demokratie"), die letztlich in einem "öffentlichen Moralismus" münden. Beachtenswert ist hierbei auch die Parallele, die HORX zwischen Religion und Umweltbewußtsein ausmacht, eine -nach seiner Meinung- Art kultureller Besonderheit der deutschen Bevölkerung. Er umschreibt den Umgang des Konsumenten mit der Natur als "Ökolozismus", d.h. als eine Symbiose aus Ökologie und Katholizismus, der sich an unterschiedlichen Merkmalen festmachen läßt.

Bei aller gebotenen Vorsicht in der Interpretation von meist sehr augenfällig erscheinenden kulturellen Unterschieden muß jedoch beachtet werden, daß sich insbesondere die kulturellen Sozialisationsindikatoren nur schwer empirisch belegen und Beobachtungen an durch Kultur geprägte Systeme so gut wie nicht falsifizieren lassen. RUCHT weist ferner darauf hin, daß sich nationale Unterschiede, z.B. in der Bedeutung der Umweltbewegung, empirisch meist sehr viel plausibler auf andere Faktoren, etwa die politische Chancenstruktur oder die jeweils vorherrschenden Konfliktlinien, zurückführen lassen. Trotzdem darf ein mehr oder minder starker Sozialisierungseinfluß, besonders im Hinblick auf die Wertehaltungen, zumindest als evident betrachtet werden.

ad b) Institutionelle Einflüsse

Nach KROEBER-RIEL nimmt die Familie die Rolle des "Sozialisierungsagenten" ein, d.h. die Familie ist, innerhalb der näheren Umwelt des Konsumenten, die Sozialisierungsdeterminante schlechthin, was prinzipiell auch für die umweltorientierte Formierung gilt. Dennoch gibt es keine dezidierten, längsschnittorientierten Forschungsergebnisse, die etwa den Einfluß des familiären Lebenszykluses auf die Bedarfsstruktur oder das variierende Entscheidungspotential der Familienmitglieder für gemeinsame Kaufentscheidungen auf das Modell des ökologischen Konsums übertragen. So wurde beispielsweise der anfängliche Konsens darüber, daß Familien mit Kindern umweltbewußter sind (z.B. durch Bemühungen zur Verbesserung des künftigen Lebensraumes der Kinder) durch die Tatsache verwischt, daß sich gerade Eltern durch mehr unreflektierten Optimismus auszeichnen und demzufolge weniger Handlungsbedarf als Singles sehen, oder sich gar gegen die allgegenwärtige Problematik abschotten und "lebensnähere" Probleme prioritisieren. In diesem Zusammenhang verbietet sich auch eine eindeutige Prognose darüber, wie sich der Trend zu mehr Kern bzw. Single-Haushalten auf ökologische Einstellungen und Verhaltensweisen auswirkt.

Neben der Familie als wichtigsten Einflußfaktor gehören auch der Freundeskreis, die Schule und der Arbeitsplatz zu den bekanntesten, wertevermittelnden Institutionen. Diese prägen nicht nur das Werteverständnis des Individuums, sondern ergänzen dieses durch soziale Normen, die verständlich und handlungsbezogen sind, und von den Institutionen positiv und negativ sanktioniert werden. Auch diese Einflußparameter sind schlecht erforscht, unstrittig ist bei der ökologiebezogenen Operationalisierung bisher nur, daß die Schule und der Arbeitsplatz mehr die kognitive, die Familie und der Freundeskreis mehr die emotionale Komponente der Wertebildung beeinflußt. Ferner gilt als gesichert, daß die Erkenntnisse über den Gruppeneinfluß, besonders bei sozial auffälligen Produkten, die öffentlich konsumiert werden (demonstrativer Konsum), auch für den ökologischen Konsum von Bedeutung sind. Besonders drastisch zeigt sich der Konsumnormeneinfluß bei Jugendlichen in ihrer Kleidung, wo der Gruppendruck so stark ist, daß er die individuelle Werteprädispostion durchbrechen kann. Nicht nur das Outfit-Beispiel zeigt, wie problematisch sich der Gruppeneinfluß auf die ökologische Problematik auswirkt: Zum einen muß sich eine Wertehaltung in einer Institution so weit verfestigt haben, daß sie adäquates Verhalten gesellschaftlich sanktioniert und damit ökologisches Verhalten fördert, was angesichts der Heterogenität möglicher, ökologischer Verhaltensalternativen geradezu illusorisch ist. Zum anderen nimmt der Konsument im Zeitablauf die soziale Einflußnahme nicht mehr bewußt wahr; er erfreut sich nach KROEBER-RIEL "... einer eingebildeten individuellen Freiheit," die die ökologische Handlungsnotwendigkeit nachhaltig hemmt bzw. die Korrektur fehlgeleiteter Konsumformen erschwert.

ad c) Interaktive Einflüsse

 

Allgemein muß zunächst vorausgeschickt werden, daß Untersuchungen zum Umweltbewußtsein anhand soziodemographischer Merkmale zwar Ansätze zur Identifikation und Beschreibung von Zielgruppen bieten, aber kaum etwas zur Frage nach den Ursachen ökologischen Verhaltens beitragen können. Im Sinne der Zielsetzung dieser Arbeit, eine um verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse erweiterte Marketingkonzeption zu skizzieren, erscheint eine Erläuterung dieser Einflüsse jedoch als sinnvoll.

 

So verdichten sich beim demographischen Merkmal "Geschlecht" durchaus die Hinweise auf Unterschiede in der Art des Umweltbewußtseins zwischen Frauen und Männern. Es zeigt sich beispielsweise in Ergebnissen von GIFFORD/ HAY/ BOROS, daß Männer zwar häufig mehr über ökologische Zusammenhänge wissen, bei Frauen die emotionale Betroffenheit angesichts der Probleme aber um ein Vielfaches größer ist. Das die gefühlsmäßige Beteiligung (affektives Involvement) nach dem bisherigen Forschungsstand als die einflußreichere Verhaltensursache gegenüber der kognitiven Komponente gilt, zeigt sich letztlich auch daran, daß Frauen im tatsächlichen ökologischen Handeln umweltbewußter sind, als ihre männlichen Artgenossen. Dies beweist auch eine relativ junge Studie von Infratest, wonach 68% der besonders ökologieorientierten Konsumenten Frauen sind. Im Gegensatz dazu lassen sich keine altersspezifischen Einflüsse mehr auf das Umweltbewußtsein erkennen. Während früher vermutet wurde, daß eher jüngere Personen umweltbezogene Zusammenhänge stärker wahrnehmen, wird in der neueren Forschung von einer altersspezifischen Nivellierung ausgegangen. BILLIG und andere Autoren führen dies einerseits auf den massiven Einfluß der Massenmedien zurück, andererseits auf den begünstigenden Einfluß der mehr postmaterialistischen Werteprädisposition der nachwachsenden Kohorten, der sog. "neuen Alten", die das Verschwinden der Zusammenhänge zwischen Alter und Umweltbewußtsein begünstigen.

Auch das Einkommen bietet lediglich als Vordergrundvariable Hinweise auf angepaßtere Verhaltensweisen von Konsumenten. Es kann jedoch davon ausgegangen werden, daß sich -sofern man die Bedürfnishierarchie bzw. Motivationstheorie von Maslow unterstellen will und das Einkommen als Indikator für die soziale Schicht interpretiert- mit steigendem Einkommen auch die Problemsensibilität zunimmt. Steigendes ProKopfEinkommen, zunehmende Spar- und Vererbungsquoten sowie der Trend zu Doppel-Verdiener-Haushalten (Erweiterung der Handlungsspielräume durch neue Kaufkraftkomponenten) wird diese Entwicklung möglicherweise begünstigen. Die Ablösung des unreflektierten Regelkonsums durch steigendes Geldvermögen muß jedoch vor dem Hintergrund der konjunkturellen Wirtschaftslage und der Mengenkompensations-Problematik gesehen werden.

Wesentlich präzisere Aussagen kann man hingegen zum Zusammenhang Bildung und ökologische Handlungsbreitschaft machen. Demnach sind "Personen mit höheren Bildungsabschlüssen ... eher bereit, sich umweltgerecht zu verhalten." So steigt die (hohe) Handlungsbereitschaft bei Personen ohne Schulabschluß von 12,7% auf 28,1% bei Personen mit Abitur. Hier dürfte sich der Zusammenhang zwischen Qualifikation und Einkommen, sowie zwischen abstrakter Informationsbasis und Handlungswissen niederschlagen.

Die Subsumtion dieser Ergebnisse zu einem sozio-ökonomischen Status, um daraus ein abbildbares Schichtenmodell zu konstruieren, erweist sich als nicht zielführend, d.h. das umweltbewußte Konsumenten fast allen sozialen Schichten zugeordnet werden können. Offenbar sind derartige Überlegungen nur vor einem produkt-spezifischen Hintergrund sinnvoll. Ein Zusammenhang läßt sich mit aller Vorsicht bestenfalls dergestalt konstruieren, daß Mitglieder der Oberschicht zwar tendenziell ein höheres Umweltbewußtsein haben, ihre "persönliche Öko-Bilanz" aber im Regelfall schlechter ist, als bei Individuen der anderen Schichten. Generelle Ableitungen zum Marktschichtstruktur-Modell, wie beispielsweise eine zunehmende Polarisierung innerhalb von Rollenverteilungsprozessen, können nicht getroffen werden.

2.1.3.2. Mediales Umfeld

Obwohl die Medien zu den institutionellen Einflußgrößen zählen, soll ihnen aufgrund ihrer überragenden Bedeutung für die Beeinflussung des Umweltbewußtseins ein eigener Abschnitt gewidmet werden.

Die immense Bedeutung der Massenmedien ergibt sich zunächst durch ihren hohen Anteil am (Frei-)Zeitbudget des Konsumenten. Insbesondere das Leitmedium Fernsehen nimmt dabei mit durchschnittlich etwas mehr als zwei Stunden pro Tag und Rezipient (!) eine starke Schlüsselfunktion ein. Die nachfolgende Abbildung gibt die wöchentliche Medienpartizipation der deutschen Bundesbürger wieder, wobei es sich bei diesen Ergebnissen um Durchschnittswerte handelt. So zeigt sich erst bei näherer Analyse, daß der Stundenanteil bei Jugendlichen (bis 18 Jahre) in Abhängigkeit des besuchten Schultypes zum Teil um bis zu 25% höher liegt. Gleichzeitig wird dem Fernsehen die höchste Glaubwürdigkeit zugewiesen, und auch hier schenkt wiederum die medial geprägte Jugend dem Fernsehen das meiste Vertrauen. Das Fernsehen ist demnach die glaubwürdigste Hauptinformationsquelle für Konsumenten, insbesondere für Jugendliche.

 

Abb. 11: Wöchentliche Medienpartizipation der Bundesbürger

Medienpartizipation der Bundesbürger

Quelle: eigener Entwurf modifiziert nach Lehmann, J. (1995), S. 117

Ferner ergibt sich die große Bedeutung der Medien für das Umweltbewußtsein durch die Tatsache, daß das Ausmaß der Fernsehnutzung signifikant sowohl mit dem materiellen als auch dem sozialen Handeln assoziiert ist, d.h. je mehr eine Person fernsieht, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß sie materiell oder sozial ökologisch handelt! Dies ist umso bemerkenswerter, da die Anzahl der thematisierten Umweltthemen im Medium Fernsehen zwischen 1970 und 1984 um fast 600% gestiegen ist. Darüber hinaus wurde auch schon in den sozialphilosophischen Disziplinen früh erkannt, daß die Medien ein derart durchgreifenden Einfluß auf uns haben, daß "... sie keinen Teil von uns unberührt, unbeeinflußt, unverändert lassen."

Der Umstand, daß die Massenmedien, insbesondere das Fernsehen als prädestinierte Informationsquelle für ökologische Sachverhalte die Schere zwischen Wissen und Handeln nicht verkleinert, sondern offensichtlich weiter öffnet, soll durch die nachfolgenden Beschreibungen zum Wesenscharakter von Medien erhellt werden.

Zunächst ist den Medien eigen, daß sie gesellschaftliche Konflikte und ökosystemare Phänomene mit einer medienspezifischen Selektivität reflektieren, und die ausgewählten (ökologischen) Problemfelder in Abhängigkeit einer wiederum medien-spezifischen Fragestellung behandelt werden, welche in der Regel auf Erkenntnissen beruhen, die aufgrund ihrer Aktualität stets umstritten oder zumindest z.Zt. in der Wissenschaft noch kontrovers diskutiert werden. In Verbindung mit der Notwendigkeit der Medien, kulturelle Resonanz zu erzeugen, insbesondere bei den durch Quotendruck determinierten privaten Fernsehsendern, entstehen polarisierende "Master Frames". So wird beispielsweise das Automobil einmal als Garant des technischen Fortschritts, Arbeitsplatzbeschaffer und Ausdruck eines "modern-mobilen" Lebenstiles etc. hochstilisiert oder aber als Hauptverusacher der Umweltverschmutzung, als Gesundheits- und Infrastrukturzerstörer oder ähnlichem verteufelt. Eine Ausdifferenzierung der Problemfelder finden dann in der Regel nur noch intern, d.h. akteursspezifisch statt und nicht mehr in den Medien.

Die Medien schaffen dadurch eine Art "neue Realität". Bezeichnet man die verschiedenen Wirklichkeitsbereiche in Anlehnung an POPPER/ ECCLES als Welten, so kann man behaupten, daß zu den drei originären Welten nun eine vierte Welt hinzutritt, die sog. Medienwirklichkeit. Neben der ersten Welt der physikalischen Gegenstände und der lebenden Organismen, der zweiten Welt mit der Gesamtheit aller subjektiven Erlebnisse und Bewußtseinszustände und der dritten Welt mit ihren von Menschen geschaffenen, physischen Gegenständen formiert sich durch die Medien nun eine Vierte. Diese ist mit der materiellen und der natürlichen Umwelt (=Wirklichkeit) nicht mehr kongruent, da sie in einem ineinandergreifenden, selbstständigen Bedingungsgefüge operiert, das als soziale Konstruktion alle (Umwelt-) Probleme und Ereignisse transformiert oder unter Umständen sogar erst erschafft. Nachfolgende Abbildung zum Weltenmodell soll dies verdeutlichen.

Abb. 12: Das erweiterte Modell der Innen und Außenwelt

Modell der Außen- und Innenwelt

 

Quelle: eigener Entwurf

Das Problemfeld der "2. Wirklichkeit" kann beispielhaft an einem Statement des Intendanten vom WDR verdeutlicht werden. So zieht Fritz Pleitgen in der Sendung "Hat Kohl Madonna geküßt?" folgendes Fazit: "Ich fürchte, daß die Fernsehwelt sich immer mehr ... von der Wirklichkeit entfernt." Und im Hinblick auf die Berichterstattung im Golfkrieg: "Wir sind auf dem Weg, unser Publikum gezielt zu desinformieren." Dieser "quasi-wirklichkeitserschaffende" Transformations- und Kanalisierungsprozeß wird durch folgende Faktoren oder besser Filter beeinflußt:

 

· Die Medien bestimmen durch ihre Selektionsmechanismen, über welche Themenkomplexe die Empfänger nachdenken und sich eine Meinung bilden sollen. Dieser von KROEBER-RIEL beschriebene Mechanismus wird auch als Agenda Setting bezeichnet, d.h. letztlich entscheiden die Medien als eine Art informeller Gatekeeper darüber, ob eine Problem, unabhängig von seinem tatsächlichen Umfang, die untere Wahrnehmungsschwelle durchbrechen kann.

 

· Umweltberichterstattung in den Medien liefert nur isolierte Betrachtungsweisen, d.h. die "... tägliche Flut von Hiobsbotschaften in unseren Medien, dieses 'Katastrophengulasch', kleingehackt und ohne Analyse dargeboten, vermittelt keine Sinnzusammenhänge."

 

· Die Journalisten betrachten Vorgänge durch ihre Medien, insbesondere öko-logische Katastrophen, stets nur ereignisbezogen, da komplexe Entwicklungen stets schwerer zu beschreiben sind, als zeitpunktbezogene Ereignisse. Dadurch erheben sie die Ausnahme zur Regel. Dieser Sachverhalt ist ferner in dem Umstand begründet, daß die Medien durch ihre Breitenwirkung über keine Möglichkeit verfügen, tradierte Wissensbestände aufzubauen. Plakativ gesprochen bedeutet dies, daß sobald ein Thema an der Oberfläche "abgegrast" wurde, schnell publikumswirksamer Ersatz gefunden werden muß.

 

· POSTMAN attestiert den Medien, insbesondere dem Meta-Medium Fernsehen, eine Darbietung von Belanglosigkeiten ohne Struktur, Kohärenz und Dauerhaftigkeit. Als besonders gefährlich stuft er die Tatsache ein, daß in dem "Einheitsbrei", der mit "bruchstückhaften Diskontinuitäten" angefüllt ist, Wissenswertes mit trivialem Datenmüll vermengt wird und damit durch die Verstärkung (künstliche Erhöhung) des Belanglosen einer huxley'schen Welt Vorschub geleistet wird.

· Besonders im Hinblick auf die jüngsten Aktivitäten von Umweltschützern (Brent Spar, Mururoa-Atoll etc.) konstatiert KNOPF eine neue Dimension der manipulativen Berichterstattung, "... weil das Objekt seiner [des Journalisten] Berichterstattung mutmaßlich nur existiert wegen der Aussicht auf Berichterstattung," d.h. Medien erzeugen eine Realität durch ihr Vorhandensein und manipulieren sie anschließend durch den Medienmechanismus. Diese "unheilige Allianz" zwischen beispielsweise Greenpeace und den Medien focussiert ihrerseits dann wieder Ereignisse und keine Entwicklungen. Ein wahrer Circulus vitiosus mit negativ verstärkenden Rückkoppelungsprozessen.

· Ferner prägen die Massenmedien, in jüngerer Zeit auch die Printmedien, den Umbruch von einer wort in eine bildbestimmte Kultur. Dies hat für die Ökologie zunächst die Folge, daß nicht darstellbare, langfristige Naturphänome nicht mehr Eingang in die Medien finden und führt langfristig auch dazu, daß die Fähigkeit des Individuums zur Konzentration auf komplexe (und in der Regel nur schriftlich darstellbare) Sachverhalte immer stärker zurückgeht. CHIMELLI, selbst Journalist, beobachtet ein "Staccato an Worthülsen" und "griffigen Verbalformeln" die lediglich als Bilduntermalung dienen und die gedankenreich geschriebene Analyse zunehmend verdrängen.

· Ökologisch relevante Ereignisse und Phänomene werden im Sinne der bereits erwähnten polarisierenden "Master Frames" entweder als Katastrophismus oder Sensationsjournalismus mit mahnenden, moralischen Untertönen unterlegt oder aber in sog. Talkshows als Unterhaltung verkauft, was die Anfälligkeit für populistische Forderungen aus allen gesellschaftlichen Gruppierungen natürlich verstärkt. Diese "Master Frames" sind wiederum in politische und wirtschaftliche Rahmenbedingungen eingebettet, die sich in einer Art Eigendynamik gegenseitig aus dem Medienumfeld verdrängen.

· Diese aus dem Blickwinkel der Ökologie sehr bedenklichen Besonderheiten der Massenmedien werden noch verstärkt durch die (meist zeitdruckbedingte) abnehmende Informationsqualität und einem weitestgehenden Niveauverlust, sowie Tendenzen zu einem sog. Verlautbarungsjournalismus, der wiederum durch die zunehmende Konzentration auf dem Mediensektor gefördert wird.

Verknüpft man nun das vorangegangene Beispiel des Weltenmodells mit diesem Wirkgefüge und der Tatsache, daß die allgemeine Umweltzerstörung von Individuen stets größer als die persönlich erlebte eingestuft wird, wird einsichtig, daß die Massenmedien einen maßgeblichen Einfluß auf das Umweltbewußtsein haben. Dadurch nämlich, daß erst die Massenkommunikation aus Umweltphänomenen Umweltprobleme macht, sie also faktisch ohne linearen Zusammenhang zur tatsächlichen Quantität definiert, erzeugt sie neben vielen anderen Problemfeldern auch eine nicht reale "Wolke der Normalität" im Kopf des Individuums mit entsprechenden (negativen) Auswirkungen auf seine Handlungsbereitschaft.

Aus diesem Kontext heraus kann also nicht nur der schwankende Umfang des Umweltbewußtseins erklärt werden, sondern auch die unendliche Vernetzung aller Einflußfaktoren untereinander sowie mit den Hauptbestandteilen Werte und Einstellungen des Umweltkonstruktes.

2.1.3.3. Weitere Umfeldbedingungen

Nach dem feldtheoretischen Ansatz kann das menschliche Verhalten (V) mit der Formel V = f (P, U) dargestellt werden. Daraus ergibt sich, daß das Verhalten neben der Person (P) auch von der Umwelt (U) abhängt, die ihrerseits -wie in den vorangegangenen beiden Abschnitten unterstellt- wiederum als eine Funktion der Sozialisierungseinflüsse begriffen werden kann. Der Begründer der Feldtheorie, LEWIN, hat den Umweltbegriff jedoch nicht explizit auf die soziale Umwelt beschränkt. Daraus folgt, daß auch die physische Umwelt (Straßen, Gebäude, Einrichtungsgegenstände etc.) als unabhängige und gleichzeitig abhängige Variable Einfluß auf das menschliche Verhalten nimmt. So ist "... die Verschmutzung und Schädigung der Umwelt (abhängige Variable) durch den Menschen und die Auswirkungen dieser Umwelt (unabhängige Variable) auf den Menschen" als komplexe Wechselwirkung zu verstehen. Zu dieser Hypothese gibt es bisher jedoch keine empirischen Forschungen. Es erscheint jedoch plausibel, daß die psychische Umwelt, analog zu den kulturellen Einflüssen der Region, das Verhalten und dieses seinerseits das Umweltkonstrukt beeinflusst.

Zu den weiteren Einflußparametern zählt insbesondere der Staat bzw. die Politik. Neben dem sozialen Druck wird auch von Seiten des Staates Druck auf das Individuum ausgeübt. Beispielsweise können Strafen bei umweltschädigendem Verhalten verhängt werden, oder umweltkritische Produkte bzw. Produkte mit derartigen Eigenschaften verboten oder mit Steuern, Abgaben oder Pfändern belegt werden. Nach HERKER artikuliert sich der staatliche Druck meist in einem Mehrpreis bzw. im Risiko, einen Mehrpreis zahlen zu müssen.

Ohne Zweifel spielt auch die physische Disposition des Konsumenten eine zu berücksichtigende Rolle, besonders hinsichtlich seines individual-spezifischen Selbstverständnisses von Vitalität. Interessant ist, daß der Zusammenhang zwischen Gesundheitsbewußtsein und tatsächlicher Aufnahme gesundheitsförderlicher Nahrung paradoxerweise ebenso divergent ist, wie das Umweltbewußtsein und das daraus resultierende Handeln. Deshalb verbieten sich Schlußfolgerungen über den (linearen?) Zusammenhang zwischen Gesundheit und Ökologie, obwohl allgemein anerkannt ist, daß sich diese Entwicklungen gegenseitig beflügeln. Insbesondere bei langfristigen Krankheiten oder Behinderungen wird die physische Disposition einen nicht zu negierenden Einfluß auf das Wertegefüge des Betroffenen nehmen. Von besonderer Bedeutung sind an dieser Stelle die Wechselwirkungen mit anderen Einflußfaktoren, die von der physischen Disposition abhängen. So ist aus diversen Untersuchungen bekannt, daß bei (physisch) kranken Menschen nicht nur Organe, sondern auch das Selbstbild, sowohl was die soziale Rolle (Status) betrifft, als auch das Selbstwertgefühl, beeinträchtigt werden, was wiederum nachhaltige Auswirkungen auf die Komponenten des situativen Konstruktes haben dürfte. Eine weiterführende Betrachtung kann hier im Hinblick auf die Themastellung nicht mehr erfolgen, festzuhalten bleibt aber, daß das Gesundheitsbewußtsein nicht nur ein weiteres Teilkonstrukt, sondern einen direkten Einflußparameter auf das Umweltbewußtsein darstellt.

Die Summe dieser exogen-psychischen Faktoren aus dem kulturellen, sozialen, medialen und staatlichen Umfeld bildet ein Bedingungsgefüge, daß das Umweltbewußtsein determiniert und zusammen mit anderen Teilkonstrukten sowie allgemeinen Persönlichkeitsmerkmalen gleichzeitig Bestandteil desselbigen ist. Der kritische Leser möge nun einwenden, daß längst nicht alle beeinflussenden Faktoren Berücksichtigung gefunden haben. Dieser Einwand mag angesichts des höchst komplexen Wirkgefüges im menschlichen Gehirn berechtigt sein, sofern man ihn auf die Gesamtheit aller Konstrukte bezieht; im ökopsychischen Bereich sind die genannten Faktoren jedoch die wichtigsten Parameter, die die Forschung bisher hervorgebracht hat. Um dem ganzheitlichen Charakter der Arbeit jedoch gerecht zu werden, sollen nun in den folgenden Ausführungen die (nicht nur in der Literatur oft vernachlässigten) situativen Einflußparameter betrachtet werden.

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