Der umweltpsychologische Erklärungsansatz für die ökologische Verhaltensdivergenz


Basierend auf der Feldtheorie geht der umweltpsychologische Ansatz davon aus, daß alle technischen, ökonomischen, juristischen oder politischen Veränderungen letztlich einen psychosozialen Motivhintergrund haben, d.h. alles korrespondiert schließlich und endlich mit dem bewußtseinsmäßigen Status quo (Bewußtseinsniveau) des Menschen, da er als "Gestalter" die natürliche in eine kulturelle Umwelt transformiert. Dieser Umformungsprozeß findet jedoch nur innerhalb der individuellen, psychischen Grenzen statt, weshalb dieser Ansatz die Psychologie mithin als die grundlegende Entscheidungsgröße ansieht und sie im Hinblick auf ökologische Problemlagen analysiert.

In Anlehnung zu dem S-O-R-Strukturmodellansatz soll auch hier die Betrachtung des linearen Verarbeitungsprozesses im Vordergrund stehen, der sich in vier Ebenen unterteilt. Danach unterscheidet man die Wahrnehmungs-, Bewertungs-, Ver-arbeitungs- und die Handlungs-Ebene. Im Gegensatz zu anderen Modellen untersucht der umweltpsychologische Ansatz jedoch die Grenzen und Barrieren innerhalb dieses Systems und beschäftigt sich weniger mit den externen Einflußparametern und ihren Verkettungen untereinander. Insofern ist diese Sichtweise eine ideale Ergänzung zum Strukturmodellansatz. Die nachfolgende Abbildung soll dieses Konstrukt überblickshaft darstellen.

Abb. 17: Der umweltpsychologische Erklärungsansatz

 

Versuch der grafischen Veranschaulichung des umweltpsychologischen Erklärungsansatzes

 

Quelle: eigener Entwurf

 

Danach werden die Ebenen A-D unterschieden, die durch ihre Strukturen und Wesensarten jeweils eine Art psychischen Filter (Fw-Fv) vor der nächsten Verarbeitungsstufe bilden, und so durch einen Selektionsprozeß die Basis für ein ökologiegerechtes Handeln verkleinern. Durch die Verbreiterung der Ebene D soll angedeutet werden, daß es auch einen ökologisch-unreflektierten Konsum gibt. Die Darstellung der psychischen Filter oder Barrieren sollte ferner nicht zu der Annahme verführen, daß die einzelnen Phänomene und Mechanismen auf jeder Ebene autark agieren; es ist vielmehr von einem ineinandergreifenden Komplex auszugehen, der in der Realität selten trennbar sein wird.

 

 

3.3.1. Wahrnehmung

 

Die bewußtseinsmäßige Wahrnehmung umweltrelevanter Inhalte unterliegt Wahrnehmungserschwernissen, die einerseits in situativen Vorgaben oder durch personale Wahrnehmungsgrenzen begründet sein können.

Hierbei unterscheidet man bei den situativen Wahrnehmungsvorgaben nach vorherrschender Meinung in:

 

a) Sinnliche Nicht-Erfaßbarkeit

b) Prinzip der Erfahrungsdistanz

c) Prinzip der latenten Wirksamkeit.

 

ad a) Da die Sinnesorgane des Menschen jeweils nur einen Ausschnitt aus der Realität wahrnehmen können, unterliegen bereits die Mehrzahl der ökologischen Probleme einer sinnlichen Nicht-Erfaßbarkeit durch den Menschen. Toxische Belastungen, radioaktive Strahlungen und Ozonlöcher beispielsweise können nicht unmittelbar selbst erlebt werden, sie haben lediglich einen abstrakten Charakter. Für die Erfassung ist der Mensch auf künstliche, meist technische Hilfen (Prothesen) angewiesen, die aus den Phänomenen durch intellektuell-imaginäre Prozesse im Kopf des Individuums einen sekundären Wahrnehmungsinhalt erzeugen.

Diese Nicht-Erfaßbarkeit führt zu einem geringen Involvement gegenüber Umweltproblematiken, das sich natürlich auch auf den Konsum niederschlägt. Verstärkt wird dieses geringe Involvement durch die Medien, die als "katalytische Prothesen" die Vorstellungen über die Katastrophe nachhaltig prägen. Die Überforderung der menschlichen Organe durch die technologische Entwicklung wird demnach durch die medienspezifischen (Selektions-)Mechanismen noch weiter verstärkt, es kommt zur Bildung der bereits angesprochenen, realitätsfernen "vierten Welt".

ad b) Die Tatsache, daß umweltrelevante Zusammenhänge durch ein Höchstmaß an Komplexität geprägt sind, schlägt sich in dem Prinzip der Erfahrungsdistanz nieder. Es bezieht sich auf das Ausmaß der zeitlichen und räumlichen Entfernung zwischen Eingriffen in die Umwelt und den daraus folgenden Auswirkungen. Diese Zeit- und Raumspanne zwischen dem alltäglichen Handeln und den Folgen wird in der wahrgenommenen Effektivität manifest. Die bekannten Simulationsmodelle des Psychologen DÖRNER zeigen eindrucksvoll, daß das Individuum bei der Bewältigung von Problemen in einem derart dimensionierten Zeit-Raum-Kontinuum meist hoffnungslos überfordert ist.

ad c) Der mathematische Quantitätsverlauf von Umweltschäden vollzieht sich in der Regel in Form exponentieller Funktionen, d.h. das Ökosystem ist in sich über längere Zeit hinweg relativ "geduldig" und kompensierend, bis eine weitere, geringfügige Zunahme zur Katastrophe, z.B. zum Umkippen eines Gewässers führt. Die menschlichen Denkschablonen im LZS sind jedoch aufgrund von (linear denkenden) Menschen geschaffener Erzeugnisse (z.B. Elektrogeräte) auf proportionale Verläufe kategorisiert. Die Folge ist, daß die subtilen Einflüsse nicht im korrekten Verhältnis zum Dosis-Wirkungs-Zusammenhang gesehen werden. Es entsteht der zwingende Eindruck, alles wäre letztlich "halb so schlimm", da es bisher "ja auch gutgegangen" sei. BATESON verdeutlicht dieses Phänomen anhand eines Experimentes: Setzt man einen Frosch in einen Topf mit kalten Wasser und erhöht man die Wassertemperatur so langsam, daß es keinen Augenblick gibt, der sich als solcher abhebt, in dem der Frosch springen sollte, dann wird er nicht springen. Er wird gekocht.

Neben den situativ bedingten Erschwernissen der Erfahrung beeinflußt auch die persönliche Fähigkeit des Individuums im erheblichen Maße die Erfassung der Mensch-Umwelt-Interaktionen.

Hier ist neben den Kapazitätsgrenzen der Wahrnehmungsfähigkeit auch der Gewöhnungseffekt zu nennen, der seinerseits das Prinzip der latenten Wirksamkeit verstärkt. Je mehr jedoch ein Sachzusammenhang als bekannt eingestuft wird, desto stärker fällt seine Bedeutung. Als Beispiel sei hier das Waldsterben genannt, daß trotz zunehmenden Ausmaßes kaum mehr Beachtung findet. Ferner unterliegt jeder Konsument einer strukturellen Gebundenheit in seiner Wahrnehmung, d.h. die Aufnahme von Input hängt von Wahrnehmungskategorien ab, die ihrerseits im Sozialisierungsprozeß formiert werden. So erkannte beispielsweise WHORF in seinem "linguistischen Relativitätsprinzip" die Abhängigkeit der Wahrnehmung und des Denkens von den jeweilig vorherrschenden Sprachsystemen. So wies er z.B. nach, daß es zu Unfällen in Labors kam, da ein stark brennbares Isolationsmaterial den Namen "Kalkstein" trug und so Feuerfestigkeit suggerierte. Im Bezug auf die Ökologie spielen diese Wahrnehmungskategorien ebenfalls eine große Rolle: Die meisten Phänomene existieren nämlich erst seit einigen Jahren, allenfalls wenigen Jahrzehnten, so daß dem Individuum hier durchweg die spezifischen Wahrnehmungskategorien (z.B. genaue sprachliche Begriffe) fehlen, um die Komplexe innerlich adäquat abbilden zu können. Die Wahrnehmung bleibt unorganisiert, diffus oder unpräzise und ist demnach stark zerfallsanfällig. Dies mag den Umstand erklären, warum trotz zahlreicher Informationsmöglichkeiten das systematische Umweltwissen kaum ausgeprägt ist. Hinzu kommen noch semantisch verschönernde, postindustrielle Wortschöpfungen, die eine exakte gedankliche Auseinandersetzung erschweren: So suggeriert bsp. das Wort "Entsorgung", daß wir uns der Sorge um unseren Abfall für immer entledigen, obwohl dieser nach wie vor existent ist und lediglich in sog. "Entsorgungsparks" (Assoziation: Freizeitpark) gelagert wird.

 

 

3.3.2. Bewertung

Falls die weiter oben beschriebenen Barrieren nicht schon eine Wahrnehmung umweltrelevanter Informationen verhindert haben, folgt im Verlauf der psychischen Verarbeitung die Phase der Bewertung. Darunter ist der (in das Einstellungskonstrukt eingebettete) kognitive Prozeß der Beurteilung, Einschätzung und Gewichtung zu verstehen. Dabei ist davon auszugehen, daß ökosystemare Reizkonstellationen, sofern sie wahrgenommen werden, aufgrund ihrer Komplexität und ihrer schweren, mittelbaren Erfahrbarkeit stets eine individuelle Bewertung auslösen.

 

Der Ebene der Wahrnehmung ähnlich, kann man auch hier zwischen situativen Bewertungsvorgaben und personalen Bewertungsgrenzen unterscheiden, wobei klar ist, daß eine "Nicht-Erfahrbarkeit" in der Wahrnehmungsphase zwangsläufig eine "Nicht-Bewertbarkeit" zur Folge hat.

Die Struktur der nachfolgenden Erläuterungen zur Bewertungsebene soll anhand der nachfolgenden Abbildung verdeutlicht werden.

Abb. 18: Die Struktur der Bewertungsebene

Die menschlichen Bewertungsebenen

 

Quelle: eigener Entwurf

Der Bewertung kommt insofern eine hohe Bedeutung zu, da die meisten ökologischen Informationen nicht aus unmittelbarer, persönlicher Erfahrung erworben werden können, sondern Ergebnis einer mittelbaren Beschäftigung sind, die sich aus intellektuellen, imaginativen und (apparativ) meßtechnisch gewonnenen Ergeb-nissen speist. Durch die Abtrennung des abstrakten Meßwertes vom ursprünglichen Ereignis wird der Bewertungszusammenhang aufgehoben. Das Individuum kann mangels eigener Erfahrbarkeit keine Aussage mehr auf seine Richtigkeit kontrollieren. Tiefe Verunsicherung, Glaubwürdigkeitsverlust und andere psychische Reaktionsmuster sind die Folge.

Die Informationsdarbietung in den Medien ist ebenfalls hochgradig irreführend. So erzeugen die Medien durch ihre (bereits angesprochenen) Mechanismen eine verschobene Bewertungspriorität im Kopf des Individuums. Die nachfolgende Abbildung (Abb. 19) soll den Sachverhalt anhand des Ozons verdeutlichen: Nachdem die Gestalter der Medien über den Eingang in den "Wahrnehmungskorridor", d.h. über das Durchbrechen der unteren Wahrnehmungsschwelle (FSu) entschieden haben, können sie durch den Umfang ihrer Berichterstattung nicht nur Angst oder Überdruß erzeugen (oberhalb von FSo), sondern verschieben auch die Bedeutsamkeit von Entwicklungen. So stärkt die z.Zt. starke Konzentration auf das Thema Arbeitsmarkt die Annahme, daß Problem der veralterten Atomkraftwerke im Ostblock oder des Ozonloches wäre "nicht mehr so schlimm" oder gar schon "von den Fachleuten gelöst". Der Umfang der Berichterstattung, der stets gleiche Medienrahmen und die regelmäßig eingeladenen "Experten" erzeugen sog. "Safety Signals", welche die Bewertungsebene des Individuums stark verzerren und dadurch mittelbar auch das Umweltbewußtsein manipulieren.

Abb. 19: Der Bewertungskorridor wahrgenommener Informationen

 

Der Bewerungskorridor des Menschen bei der Informationsaufnahme

 

Quelle: eigener Entwurf

 

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die bereits beschriebene konjunkturelle Schwankungsbreite des Umweltbewußtseins.

Auch die Informationsdarbietung auf Packungen erschwert eine Bewertung, da sie zumeist in digitaler Form vorliegt. So wollen beispielsweise viele Kunden über die (umweltschonenden) Inhaltsstoffe von Lebensmitteln informiert werden, die entsprechenden Hinweise -in Form kleiner, für die Wahrnehmung unscheinbarer und somit unwichtig wirkender Buchstaben und Zahlen- lassen sich aber nur bei Kenntnis entsprechender Rand(zusatz)informationen (z.B. Einheiten, Grenzwerte, chemische Abkürzungen, etc.) "entdigitalisieren", oder besser decodieren. Ohne diesen "Entdigitalisierungsschlüssel" sind die Informationen zwar wahrnehmbar, jedoch hochgradig unverständlich und deshalb nicht bewertbar.

Den situativ bedingten Erschwernissen bei der Bewertung umweltrelevanter Sachverhalte stehen die persönlichen Fähigkeiten des Individuums gegenüber. Der Argumentation von PREUSS folgend soll hier zwischen mentalen Bewertungsbarrieren und motivationalen Bewertungsbarrieren unterschieden werden.

Wie bei der Wahrnehmung, so unterliegt jedes Individuum auch bei der mentalen Bewertung typischen kognitiven Verarbeitungsprinzipien, wie sie in der Gestaltpsychologie schon seit langem bekannt sind. So schlußfolgern Personen oft von einem Merkmal einer Reizkonstellation in konsistenter Weise auf alle anderen Aspekte dieser Konstellation. Wie auch schon im Abschnitt über die Informationsverarbeitung skizziert, kommt es also zum sog. "Halo-Effekt", einer Art habitualisierten Denkschablone.

Auch die Dualisierung in eher Intern- und Extern-Kontrollierte läßt sich auf einen mentalen "Bewertungsfehler" zurückführen, da jedes Individuum im Rahmen der kognitiven Auseinandersetzung mit Ereignissen ein Bestreben nach Kausalattributionen entwickelt. Nach MEYER ist diese Ursachenklärung eines Phänomens ein Grundbedürfnis des Menschen. Mit den external variablen Attributionen erzielt das Individuum eine enorme, affektive Entlastung, was die weite Verbreitung der tendenziell Extern-Kontrollierten erklären mag. Die mentalen Verarbeitungsprinzipien können aber auch als Erklärungsbeitrag für die Unschärfen im Umweltwissen herangezogen werden. Ist der individuelle Ausschnitt am dynamischen, kollektiven Wissen -wie bereits dargelegt- nämlich relativ abstrakt, so kann es nicht auf konkret alltägliche Geschehnissen wie Müllbeseitigung, Energieverbrauch, etc. bezogen werden. RAMMSTEDT unterscheidet in diesem Zusammenhang zwischen dem "Wissen von Umweltproblematik" als der tatsächlichen Kenntnis und einem "Wissen um Umweltproblematik" im Sinne eines "Darüber-Gehört-Habens". Somit läßt sich erklären, warum individuelles Umweltwissen in der psychischen Bewertung und späteren Handlung so wenig nutzbar gemacht werden kann.

Zu diesen im Verlauf der Arbeit bereits implizit oder explizit dargestellten mentalen Bewertungsgrenzen kommen noch die sog. motivationalen Bewertungsbarrieren hinzu, die insofern von größerer Bedeutung sind, da sie das emotionale Bindeglied zu der Ebene der Verarbeitung darstellen. Die motivationalen Faktoren sind also nicht nur kognitiver, sondern auch zu einem geringen Teil emotionaler Art, da sie in Form von unerwünschten Inhalten oft als Bedrohung und emotionale Verunsicherung empfunden werden.

In diesem Konnex hat die Theorie der kognitiven Dissonanz breiten Eingang in die Lehre, insbesondere auch in die Marketingwissenschaft, gefunden. Diese auf FESTINGER zurückgehende Theorie besagt, grob vereinfacht gesprochen, folgendes: Wenn sich im Denken einer Person zwei oder mehrere kognitive Elemente (Wahrnehmungen, Informationen, Überzeugungen etc.) widersprechen, so entsteht Dissonanz (=psychische Spannung) und daraus die Tendenz, diese intrapsychische Spannung wieder abzubauen, d.h. einen konsonanten Zustand (wieder-) herzustellen. Dies erfolgt entweder durch Addition neuer konsonanter Kognitionen oder durch die Substraktion dissonanter Kognitionen. Auch eine Substitution von Kognitionen ist denkbar, wobei stets diejenige Kognition verändert wird, die den geringsten Änderungswiderstand besitzt. Daraus folgt, daß Quellen, deren Informationen potentiell dissonanzerhöhend sind, vermieden werden, während dissonanzvermindernde Informationen aktiv gesucht werden. Wird also innerhalb einer Bewertung der psychische Spannungszustand zu groß, müssen in einer erneuten Wahrnehmungsschleife dissonanzreduzierende Elemente beigebracht werden. Nach PREUSS kommt dies einer Falschbewertung mit rückkoppelnden Effekten gleich.

Für die ökologische Betrachtung ist dieser Umstand insofern von Bedeutung, da er nach Erkenntnissen der Entscheidungstheorie in allen Phasen des (Kauf-)Entscheidungsprozesses seine Wirkung entfaltet, d.h. bei der Identifizierung des Entscheidungsproblems, der Informationssuche, der Generierung von Alternativlösungen, der Selektion, der Durchführung der gewählten Alternative und der Kontrolle. So findet beispielsweise bei allen Neuinformationen, die dem Vorentschluß "angestrebter Kauf eines ÖkoKühlschrankes" widersprechen, eine Deformation statt. Erweisen sich neu hinzugetretene Informationen, wie "hohe Kosten" oder "fragwürdiger Umweltvorteil" hinsichtlich ihrer Anzahl, Klarheit und Eindeutigkeit als schwerer deformierbar, so kann dies eine Neuordnung der präferierten Alternativen nach sich ziehen und schließlich in einer umweltschädlicheren Produktwahl münden. Dissonanzfördernd wirken hierbei

· Informationen über Produkte der Wettbewerber, die das Informations- und Entscheidungsverhalten vor dem Kaufentschluß fragwürdig erscheinen lassen.

· Informationen über bessere Informationsquellen und Entscheidungsstrategien, die übersehen wurden.

· fehlende positive oder vorhandene negative "Social Supports" durch Personen und -gruppen, deren Meinung der Konsument schätzt.

Man kann grundsätzlich davon ausgehen, daß eine korrekte Wahrnehmung und Bewertung der Umweltzerstörung eine maximale Dissonanz erzeugt, da der Wunsch nach Konsum der Umweltzerstörung durch eigenes Tun gegenübersteht. Demgemäß ist es nur folgerichtig, wenn sich der Konsument ausschließlich auf konsonante Informationen konzentriert, die wiederum eine erneute Informationssuche ersparen. Er bewegt sich sozusagen in einer "Konsonanz-Spirale".

Zusammenfassend läßt sich auf Grundlage aller personal-motivationaler Erklärungsmodelle gut darlegen, wie anfällig die Bewertung gegenüber kognitiv und emotional bedingter Verzerrungen ist. Die adäquate Bewertung der Umweltproblematik wird dem innerpsychischen Streben nach Harmonie geopfert!

 

3.3.3. Verarbeitung

 

Der psychische Verarbeitungsprozeß ist im Wesentlichen durch emotionale Determinanten geprägt, die das menschliche Unvermögen wiederspiegeln, das Ausmaß der selbstverursachten Gefahr mit ihren gewaltigen, globalen Auswirkungen zu verarbeiten. Hierbei gilt analog zu den anderen Ebenen, daß das Nicht-Erfahrbare, und Nicht-Bewertbare sich zwangsläufig der emotionalen Betroffenheit entzieht, d.h. daß aus Sicht des Individuums die vorgeschalteten Filter eine emotionale Schutzfunktion übernehmen und handlungsauslösende, emotionsspezifische Auslösermechanismen unterdrücken. Diese Mechanismen, nach der psychoanalytischen Terminologie als "Angstsignale" bezeichnete Impulse, sorgen in einer Realgefahr normalerweise für eine Reaktion des Organismus (z.B. Flucht, Angriff etc.). Ihr Fehlen im ökologischen Zusammenhang aber beraubt dem Individuum die Möglichkeit, die vorliegenden Informationen zu antizipieren und Vorsorge zu treffen.

Werden jedoch Informationen wahrgenommen und bewertet, kommt es also zu einer starken emotionalen Betroffenheit, so besteht die Gefahr, daß die innerpsychischen Grenzen der individuellen Verkraftbarkeit überschritten werden. Die Eckpfeiler dieser Grenzen werden -in Anlehnung an die Psychoanalyse- durch drei Faktoren bestimmt:

a) Angst

b) Abwehr und Regression

c) Narzißmus

ad a) Nach vorherrschender Meinung in der ökologischen Psychologie verspürt jedes Individuum, je nach Ausprägung der Persönlichkeitsmerkmale und der Sozialisierungseinflüsse, angesichts des ökologischen Dilemmas massive Ängste, die durch Ohnmacht, Hilflosigkeit, Zorn oder Panik begleitet werden. Die emotional erfahrbare Gefahr des drohenden Exterminismus (Omnizid) und die globale Irreversibilität von Zerstörungen bündeln sich in einer "Erlebniskatastrophe", die die psychischen Mechanismen funktionsuntüchtig machen kann. Diese Angst kann sich unterschiedlich manifestieren, beispielsweise als Realangst (angemessene Reaktion auf reale Gefahren als Opfer), der Angst vor Hilflosigkeit (besonders bei Extern-Kontrollierten der erlebte Mangel an Bewältigungsstrategien) oder der Gewissensangst (moralische Angst aufgrund der Mitverantwortung, d.h. der Täterrolle bei der Umweltverschmutzung). Ferner kann durch das Aufeinanderprallen des angstbelasteten RealIch mit dem angstfreien Ideal-Ich wiederum eine Angst vor dieser Inkongruenz ausgelöst werden. Deshalb stellt auch FIETKAU folgerichtig fest: "Der Homo oecologicus als rational handelndes Wesen ist eine Fiktion" und meint damit, daß man nicht den Fehler machen sollte, den Konsumenten, basierend auf dem Menschenbild des Homo oeconomicus, als rein sachlogisch orientierte "Maschine" zu betrachten. Berichte über einen neuen Patiententypus des "Ökochonders", bei dem sich "... Fernsehaufnahmen, eigene Beobachtungen und Zeitungsmeldungen zu einer Melange aus fragmentiertem Wissen und diffusen Ängsten" vermischen, zeigen die Bedeutung der Angstdimensionalität.

ad b) Die Situation der Erlebniskatastrophe mit der Gefahr des "inneren Zusammenbruchs" ist für das einzelne Individuum ebenso wie für ein Kollektiv psychisch hochgradig bedrohlich. Folglich wird sich das Individuum weiteren Selbstschutz- und emotional-kognitiven Selbstheilungmechanismen bedienen, die in Entlehnung an die freud'sche Terminologie, als Abwehr bezeichnet werden. Innerhalb des Abwehrmechanismus gibt es nun unterschiedliche Abwehrformen:

 

· Nach Ansicht von LAZARUS und LAUNIER spielt die Leugnung eine besondere Rolle innerhalb der Abwehrmechanismen. Sie spezifizieren den Vorgang der Leugnung als ein zielgerichtetes Vergessen und Nichtwahrnehmen von Umweltproblemen als Bewältigungsstrategie. Das diese Form der Abwehr durchaus opportun ist, läßt sich anhand zahlreicher Belege dokumentieren. Als aktuelles Beispiel sei der Wahlkampfslogan der ASP während der bayerischen Kommunalwahlen genannt, der die Bedrohung der Umwelt durch den Menschen schlicht negiert.

 

· Eine weitere Abwehrform ist die ebenfalls aus der Psychoanalyse bekannte Regression, eine Abwehrform, die als (infantile) Rückbesinnung an die "problemfreie" Kindheit umschrieben werden kann. Tatsächlich zeigt sich bei der Durchsicht der Antworten aus Studien, die mittels freier Beantwortung erhoben wurden, eine Polarisierung zwischen einer einerseits irrationalen Leugnung des "ökologischen Holocaust" und einem andererseits blinden (naiven) Wunderglauben an die Macht der Technik. Das Ausmaß der Infantilisierung konkretisiert sich hierbei in Apathie und Resignation, in den meisten Fällen jedoch in Delegation. Die bei den situativen Einflußfaktoren analysierte Eigenverantwortung und deren Zuordnung an wirtschaftliche oder staatliche Institutionen ist also Ausfluß einer psychischen Abwehr. Auch HORX führt die gesellschaftlich beobachtbaren Entwicklungen wie das Cocooning, den Girly-Trend und den zunehmenden "Pubertismus" auf -zumindest teilweise- ökologisch bedingte, regressive Abwehrmechanismen zurück.

 

· Wenn Angst nicht gelebt werden kann, muß sie "psychisch abgespalten" werden, weshalb der dazugehörige Abwehrmechanismus folgerichtig Spaltung genannt wird. Diese kann sich als aktives Splitting manifestieren, einer besonderen Art von bigottem Lebensstil, bei der beispielsweise ein sonst überwiegend umweltbewußter Konsument in seiner beruflichen Tätigkeit völlig entgegengesetzte, ökologiefeindliche Entscheidungen trifft. Die Spaltung kann sich aber auch als Strategie der Intellektualisierung (auch Rationalisierung) manifestieren, bei der durch kognitive Versachlichung das zugehörige Angst-gefühl abgespaltet wird, um es gleichsam abstrakt und rational behandeln zu können. Die Spaltung kann sich jedoch auch in einer ganz besonderen Art der psychologischen Distanzierung kundtun, dem Zynismus. Wenn der russische Atomminister KAUROW anläßlich des 10-jährigen Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe von "dem sichersten Atomkraftwerk von allen" spricht, sofern man von dem "kleinen Unfall" absehe, dann darf man das angesichts von 8.000

Todesopfern, einer viermal so hohen Sterblichkeitsrate als normal und über 200.000 km2 radioaktiv verseuchtem Gebiet, wohl ohne weiteres von blankem Zynismus sprechen.

· Werden bedrohliche Informationen nicht negiert (Leugnung), trivialisiert (Regression) oder abgespalten, so können die Reizdaten schließlich so stark umgedeutet werden, daß sie den Grad einer Gedächtnistäuschung erreichen können. Hierbei spricht man von Illusionierung. Diese demonstriert sich bei umweltrelevanten Sachverhalten in aller Regel in Aktionismus. So kauft der Konsument z.B. biologische Nahrungsmittel, obwohl er weiß, daß die Schadstoffbelastung zwar graduell unterschiedlich, aber grundsätzlich universell ist.

Die Psychoanalyse kennt noch eine ganze Reihe weiterer Abwehrhaltungen, z.B. die (bereits kurz angeschnittene) sprachliche Immunisierung, oder die Realitätsflucht, die die starke Nutzung des Leitmediums Fernsehen als bloße Unterhaltungsquelle erklären kann. Diese Ansätze sollen jedoch im Hinblick auf die ökologische Orientierung nicht weiter verfolgt werden.

ad c) Eine interessante Brücke zu den Ausführungen über das Wertekonstrukt und den gesellschaftlichen Werteentwicklungen schlägt die dritte Funktion, der sog. Narzißmus. Diese Theorie geht davon aus, daß je mehr eine Gesellschaft über ökologische Sachverhalte und Zusammenhänge weiß und ihr Verhalten und Denken danach ausrichtet (d.h. sich der Natur als Bestandteil unterordnet), desto mehr verliert sie von ihrer "technischen Omnipotenzphantasie", die Natur letztlich beherrschen zu können. Da jede ökologische Katastrophe das Gefühl des Ausgeliefertseins bzw. der eigenen Unzulänglichkeit erhöht, kommt es zu Abwehrmechanismen und zu einer psychodynamischen Erhöhung des eigenen Selbst, d.h. zu einer egozentrisch ausgerichteten Lebensweise, wie sie sich zum Teil in unserer Gesellschaft sehr eindrücklich zeigt.

3.3.4. Handlung

Der letzte Schritt in der individuellen Auseinandersetzung mit der Umwelt ist die Etappe der Handlung. Hierbei kann man zwischen situativen Antezedenz-bedingungen und personalen Verhaltensbarrieren unterscheiden.

Mit den Antezedenzbedingungen sind die situationsspezifischen Umweltkonstellationen gemeint, wie beispielsweise die Verfügbarkeit von ökologischen (Produkt-) Alternativen, Produktinformationen sowie der Einfluß der Werbung und die Vielzahl anderer (objekt, raum- und zeitbezogener) Einflußbedingungen auf das Sozialverhalten. Diese Momente evozieren bekanntermaßen das Verhalten, wurden jedoch schon im Rahmen der exogen-situativen Faktoren abgehandelt.

Die personalen Verhaltensbarrieren manifestieren sich auf unterschiedlichen Ebenen, die sich nach den vier Grundelementen ökologischen Konsums differenzieren lassen. Man unterscheidet hierbei zwischen Kauf-, Verwendungs-, Kommu-nikations- und Post-Verwendungsverhalten, wobei das Kommunikationsverhalten das Informations-, Beschwerde- und Protestverhalten, sowie die allgemeine soziale Kommunikation, umfaßt. Nachfolgende Abbildung (Abb. 20) verdeutlicht die Determinanten und Handlungsoptionen.

Die erste Phase, das Kaufverhalten, das sich bekanntermaßen aus einer Reihe von Teilinhalten zusammensetzt, ist von den angesprochenen Bewertungs- und Verarbeitungsproblemen am stärksten betroffen. Für den Konsumenten stellt sich hier nämlich zunächst die Frage: "Welches Erzeugnis ist denn nun wirklich umweltfreundlich?" Stellt man auf einen relativen Vergleichsmaßstab ab, oder besser auf spezielle Eigenschaften, wie beispielsweise auf geringen Ressourcenverbrauch, lange Produktlebensdauer oder gefahrlose Abfallbeseitigung? Da selbst die Wissenschaft darauf keine eindeutige Antwort zu geben vermag, wird wohl auch der Konsument je nach Gestaltung der situativen Antezedenzbedingungen und persönlichen Dispositionen mit beliebigen Wahlaktivitäten reagieren, die von mehr oder minder starken Verunsicherungen begleitet sind.

Abb. 20: Grundformen des ökologieorientierten Konsumentenverhaltens

 

Grundformen des Konsumentenverhaltens

 

Quelle: eigener Entwurf modifiziert nach Meffert, H. (1993), S. 94

Auch im Nutzungs- und Verwendungsverhalten besitzt der Konsument eine Bandbreite an Handlungsoptionen, die ebenfalls Ergebnis des individuellen Abwägungs- und Bewertungsprozesses sind. Das Spektrum reicht hier vom (tendenziell unwahrscheinlichen) totalen Konsumverzicht, über den partiellen Konsumverzicht (z.B. im sparsameren Dosierverhalten von Waschmittel) bis zum selektiven Konsum, also der gezielten Suche nach umweltgerechten Verbrauchsgütern.

Das Spektrum der möglichen Ausprägungen setzt sich letztlich auch in der Post-Verwendungsphase fort, in der der Konsument zwischen geregelter bzw. illegaler Müllbeseitigung, einer Weiterverwendung mit Funktionswechsel (z.B. Glasverpackungen als Trinkgläser) und der Option des Recycling "wählen" kann.

In Abhängigkeit der Persönlichkeitsstruktur werden diese Phasen durch ein aktives oder passives Kommunikations- oder Interaktionsverhalten des Individuums begleitet. Während das aktive Kommunikationsverhalten die Rolle des Verbrauchers als Meinungsbildner bzw. -führer umfaßt, bezieht sich der passive Aspekt auf die Rolle des Konsumenten als Empfänger mit einem ökologierelevanten Informationsbedürfnis.

Aus dieser Schilderung wird nun zweierlei deutlich: Einerseits wird bei der Bandbreite möglicher ökologischer Verhaltensweisen gerne auf die "Low-Cost"-Optionen zurückgegriffen, d.h. auf Handlungen, die mit geringem zeitlichen und finanziellen Aufwand erledigt werden können, und die gleichzeitig in der Lage sind, die Unsicherheiten bei der ökologischen Wertorientierung zu vermindern (z.B. Glas-Recycling). PREISENDÖRFER spricht hier auch vom Umweltbewußtsein in "Alibi-Bereichen", wonach bei steigenden Verhaltenskosten der Einfluß des Umweltbewußtseins auf das tatsächliche Verhalten überproportional stark sinkt. Ferner wird einsichtig, daß Umweltverhalten aufgrund seiner Vielschichtigkeit kein einheitliches, bereichsunspezifisches Verhaltensmuster ist, womit sich auch eine Diskussion über umweltbewußte Konsumstile (im Sinne eines allumfassenden "Way of Life") weitestgehend relativiert.

Die personalen Verhaltensbarrieren sind zusätzlich durch Defizite im Verhaltensrepertoire geprägt, d.h. die relativ abstrakte Verhaltensbereitschaft(-änderung), kann nur schwer in konkrete Handlungsschritte umgesetzt werden, da diese bisher wenig traininiert und automatisiert sind. Insofern zeigen ökologisch sinnvolle Handlungen hohe Störanfälligkeiten und stark ausgeprägte Wahrscheinlichkeiten zu "Verhaltensrückfällen".

Ferner tendiert das bisher habitualisierte Verhaltensspektrum zu linearen und monokausalen Verhaltensstrategien, welche die Umstellung auf neue Verhaltensgewohnheiten zusätzlich behindern, da diese wesentlich schwerer argumentativ "verkauft" werden können. Darüber hinaus folgt der ökologische Konsum oft den Gesetzmäßigkeiten von Versuch und Irrtum, der ohne positive Verstärkerbedingungen zwangsläufig mit Enttäuschungen einhergehen muß.

Ökologisch "erfolgreiche" Handlungen, d.h. beispielsweise Kaufvorgänge, die durch die Umwelt sozial verstärkt wurden, können jedoch auch positive Rückkoppelungseffekte auf die anderen Ebenen haben. So zeigt HANSEN in seiner Erhebung, daß je mehr die Bevölkerung direkt an Umweltmaßnahmen mitwirkt, desto objektiver (wirklichkeitsnäher) nimmt sie positiven Veränderungen auch wahr. Dieses Feedback wirkt entsprechend positiv auf die Bewertungsebene. Betrachtet man aber die gesellschaftliche Diskussion um den "Grünen Punkt" wird einsichtig, daß dieser Rückkoppelungseffekt auch in die andere Richtung funktionieren kann. Der starke Einfluß des Sozialisierungsprozesses wird darüber hinaus durch weitere psychosoziale Resonanzen des Umfeldes verstärkt, z.B. durch gruppendynamische Vergleichsprozesse, die sich als Streben nach Konformität und Gruppenidentität offenbaren.

Weitere, aus der Psychologie entlehnte Ansätze, wie etwa das Prinzip der Erfahrungsdistanz, daß beispielsweise auf die wahrgenommene Konsequenz und auf die Sozialisierungseinflüsse angewendet werden kann, wurden bereits ausführlich behandelt, weshalb auf eine weitere Erläuterung verzichtet werden kann.

Damit ist die Behandlung der individuellen psychisch-ökologischen Prozesse im Allgemeinen und des (verknüpfenden) psychologischen Erklärungsansatzes im Speziellen abgeschlossen. Hierbei sollte die ausführliche Darstellung bis jetzt zweierlei gezeigt haben:

Zunächst, daß der Umgang des Menschen mit der Natur (z.B. durch Konsum) ein hochkomplexes Wirkgefüge ist, das mittlerweile eine "sozial-pathologische" Dimension angenommen hat, durch unterschiedlichste Einflußfaktoren und Mechanismen determiniert wird und dem Individuum die Energie entzieht, die es für die Entwicklung von adäquaten Verhaltensalternativen benötigt. Zum anderen, daß es bei der Betrachtung menschlichen Denkens und Handelns -unabhängig von der Zielsetzung die man verfolgt- unerläßlich ist, alle Elemente in gegenseitiger Wechselbeziehung zueinander und nicht isoliert zu untersuchen.

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